Die Zauberer 01 - Die Zauberer
hinzugehören, hatte sich Menschen gewünscht, die ihn liebten und auf seine Rückkehr warteten, wenn sich der Tag dem Ende zuneigte. Aber für ihn gab es weder das eine noch das andere, und das würde sich wohl auch niemals ändern. Trauer bemächtigte sich seiner, Tränen stiegen ihm in die Augen, und er vergrub sein Gesicht in den Händen. »Granock! Verdammt, Junge! Reiß dich zusammen ...!«
Endlich nahm er die Stimme auch bewusst wahr. Verwirrt blickte er sich um und fragte sich, wer ihn da nur rief. Ließ die Wirkung seines Banns bereits nach?
»Granock!«
Jemand packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn, obwohl er ganz allein inmitten seiner erstarrten Opfer saß - und im nächsten Moment wurde ihm bewusst, dass es zwei Realitäten gab: eine, die nur in ihm selbst existierte, in seinem Kopf, in seiner Vorstellung - und eine, die wirklich war! Kaum hatte er diese Einsicht gewonnen, schlug er die Augen auf, und zu seinem größten Erstaunen fand er sich nicht im grimmigen nordischen Winter wieder, sondern in der Eingangshalle des Pyramidentempels im dampfenden Dschungel Aruns. Und das Gesicht, das vor ihm schwebte, war weder reglos noch voller Abneigung. Im Gegenteil, dunkle Augen schauten ihn in unverhohlener Sorge an.
»Junge«, sagte Farawyn, der ihn noch immer an den Schultern gepackt hielt. »Bist du in Ordnung?«
»I-ich glaube schon ...«
»Erinnerst du dich an deinen Namen? Weißt du, wer ich bin?«
»G-Granock«, murmelte er zur Antwort. »Und Ihr seid Farawyn, mein Meister ...«
»Der bin ich«, bestätigte der Zauberer und gönnte sich ein erleichtertes Lächeln. Dann zog er Granock auf die Beine, der noch einige Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Seine Augen schmerzten, und sein Schädel dröhnte, als hätte er eine Sauftour durch alle Tavernen Andarils unternommen. Nur wenige Schritte entfernt sah er Aldur und Alannah stehen, die nicht weniger benommen wirkten, als er selbst sich fühlte. Riwanon kümmerte sich um sie, und auch in ihren Zügen entdeckte Granock ehrliche Sorge.
»Was ist passiert?«, wollte er wissen.
»Daisaimyg«, erklärte Farawyn. »Ein Wächterbann, der dafür sorgt, dass deine Ängste und Zweifel deinen Geist gefangen nehmen und dich in tiefe Verzweiflung stürzen. Mancher, der einem solchen Bann verfallen ist, hat dabei den Verstand verloren. Wären Meisterin Riwanon und ich nicht rechtzeitig zurückgekehrt, um nach euch zu sehen ...«
»Verstehe«, sagte Granock und wandte sich zu seinen Kameraden um. »Hattet ihr ebenfalls ...?«
»Ja«, sagte Alannah halblaut, und auch Aldur nickte. Beide wirkten beschämt und niedergeschlagen, und obwohl es Granock brennend interessiert hätte, was sie gesehen und erlebt hatten, fragte er sie nicht danach. Vielleicht ein anderes Mal...
»Habt Ihr in der Zwischenzeit etwas gefunden?«, erkundigte er sich bei Farawyn.
»Allerdings«, bestätigte der Zauberer grimmig und in einem Tonfall, der nichts Gutes verhieß. »Kommt mit. Wir müssen euch etwas zeigen ...« Die Novizen sahen sich an, ehe sie Farawyn den Gang hinab folgten, der in die dunklen Eingeweide des Tempels führte. Riwanon übernahm einmal mehr die Nachhut.
Das Licht der Elfenkristalle tauchte den Gang in blauen Schein, der jedoch schon nach wenigen Schritten von der Finsternis verschluckt wurde. Das Ende des Stollens war nicht auszumachen, und sie alle spürten die Anwesenheit von etwas Dunklem, Bösem, das in dem Tempel zu Hause war und hinter jeder Biegung lauern mochte.
Je mehr sie ins Innere des Tempels gelangten, desto kälter wurde es. Moder tränkte die feuchte Luft, und das blaue Licht warf unheimliche Schatten auf die mit grässlichen Darstellungen verunzierten Wände. In Stein gehauene Fratzen waren zu sehen, deren Blick die Eindringlinge zu verfolgen schien, aber auch wieder verschlungene Schriftzeichen, die keiner der Novizen zu entschlüsseln vermochte. Und schließlich waren auch Bilder in das dunkle Gestein gemeißelt, die Darstellung einer Schlacht, die zwischen zwei feindlichen Heeren tobte: Auf der einen Seite erkannte Granock inmitten spitzer Schwerter und konisch geformter Helme das Wappen Tirgas Lans, auf der anderen flatterte das finstere Banner des Dunkelelfen über einer Armee von Orks, Trollen, Drachen und noch anderem Gezücht.
»Der große Krieg«, erklärte Farawyn. »Dieses Relief stellt die Schlacht von Scaria dar. Es war der letzte Sieg, den Margok davontrug. Fast zehntausend Elfenkrieger fanden in dieser Schlacht den
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