Die Zauberer 01 - Die Zauberer
verhalten, Fürst«, riet die Stimme Erwein. »Andernfalls wird der Tag blutig enden ...«
Erwein wusste nicht, was er davon halten sollte, aber er gab seinen Männern mit einer Geste zu verstehen, dass die Schwerter in den Scheiden zu bleiben hatten. Dann blickte er sich um, konnte aber die Quelle der zischelnden Stimme nirgends ausmachen. Dabei war er sicher, dass der Sprecher direkt neben ihm stand, so deutlich hatte er sie gehört...
»Hier, bei der Säule«, zischte es wieder.
Erwein fuhr herum - und hatte für einen Moment den Eindruck, etwas über den reich verzierten Marmor huschen zu sehen. Ein flüchtiger Schatten, eine schemenhafte Gestalt, durchsichtig wie Elfenkristall...
»Folgt mir, Fürst«, verlangte die Stimme.
»W-wohin?«, fragte Erwein verblüfft. Er verspürte nicht das geringste Verlangen, der Aufforderung eines Wesens zu folgen, das er noch nicht einmal sehen konnte.
Er bemerkte die verwunderten Blicke, mit denen ihn seine Männer bedachten. Offenbar konnten sie noch nicht einmal die Stimme des Unsichtbaren hören und zweifelten an seinem Verstand. Er konnte es ihnen nicht verdenken; für sie musste es den Eindruck haben, als spräche er mit leerer Luft. Wahrscheinlich glaubten sie, der Verlust seines Sohnes und die Niederlage vor dem König wären zu viel für ihn gewesen. Und vielleicht hatten sie ja recht. Vielleicht verlor Erwein tatsächlich den Verstand. Er wäre nicht der Erste, den die Elfen mit ihren Intrigen in den Wahnsinn getrieben ...
»Es gibt etwas zu besprechen, Fürst Erwein«, zischelte die Stimme wieder und stürzte ihn damit in noch größere Zweifel.
»Zu besprechen?«, flüsterte er. »Ich wüsste nicht, worüber wir zu sprechen hätten.«
»Euch wurde von meinesgleichen Unrecht angetan, Herr von Andaril. Großes Unrecht...«
Von meinesgleichen hatte er gesagt. Der Besitzer der Stimme musste also ein Elf sein - allerdings einer, der sich auf die Kunst verstand, sich unsichtbar machen zu können.
Ein Zauberer!
Der Gedanke jagte Erwein kalte Schauer über den Rücken. Er mochte die Magier nicht. Sie waren ihm unheimlich, und zudem standen sie auf der Seite des Königs!
»Was willst du von mir, Zauberer?«, flüsterte Erwein deshalb abschätzig. »Dich an meinem Unglück weiden?«
»Keineswegs, Fürst«, wisperte es. »Ich will wiedergutmachen, was geschehen ist.«
»Wie könntest du das? Iwein, mein jüngster und liebster Sohn, ist tot. Auch du kannst ihn nicht wieder lebendig machen.«
»Das nicht«, räumte der fast Unsichtbare ein, dessen Silhouette wieder für einen kurzen Moment vor der Säule zu sehen war. »Aber Ihr solltet wissen, dass nicht alle so denken wie Elidor. Der König hat Feinde unter den Elfen, mächtige Feinde, die Euch einen Handel anbieten möchten.«
»Ist das dein Ernst?«
»Folgt mir, dann werdet Ihr Euch überzeugen können.«
Erwein schaute sich um. Die Elfen, die sich in der Halle aufhielten, bemerkten den Zauberer nicht; dessen Gestalt schien stets die Farben der Umgebung anzunehmen, sodass er nahezu unsichtbar war.
»Elidor hat Euch verraten«, flüsterte der Zauberer wieder. »Hinter Eurem Rücken lacht er über Euch und Eure Einfalt. Und er tritt das Andenken Eures Sohnes mit Füßen.«
Erwein spürte erneut Zorn in sich aufwallen; die Flamme des Hasses loderte wieder auf, so als hätte der Zauberer der noch schwelenden Glut frischen Wind zugefächelt.
»Wollt Ihr Euch rächen, Fürst Erwein?«, fragte die Stimme. »Wollt Ihr Genugtuung für das, was Eurem Sohn angetan wurde? Wollt Ihr die wahren Schuldigen ebenso leiden sehen, wie Ihr leiden musstet?«
»Die wahren Schuldigen?«, ächzte Erwein. »Soll das heißen, dass...?« »Folgt mir«, verlangte die Stimme, während sie sich bereits entfernte, »und Ihr werdet alles erfahren. Ich versichere Euch, dass Euch Gerechtigkeit widerfahren wird ...«
Erweins Zögern währte nur noch einen Augenblick, dann schritt er dem kaum sichtbaren Schemen hinterher, getrieben vom Durst nach Rache. Seinen Männern aber befahl er zurückzubleiben.
Sie waren überzeugt davon, dass ihr Anführer den Verstand verloren hatte.
15. PRYS'Y'DAIL
Noch nie zuvor war Fürst Erwein von Andaril an diesem Ort gewesen - und er wusste auch nicht, wie er hierher gelangt war.
Als man ihm die Augenbinde abnahm, sah er zunächst nichts als orangefarbene Flecke vor seinen Augen. Er blinzelte und brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es sich bei den tanzenden Flecken um das Feuer von Fackeln
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