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Die Zauberlehrlinge

Die Zauberlehrlinge

Titel: Die Zauberlehrlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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nichts von all dem schien Harry zu erreichen. Der Schock stürzte ihn in eine Trauer, die schmerzhafter war als alles, was er für jemanden zu empfinden glaubte, den er strenggenommen nie kennengelernt hatte. Dann erfüllte ihn ein noch schwärzerer Gedanke. Er hatte sein Wort gehalten, aber Iris hatte ihres gebrochen. »Ich werde nichts unternehmen, bis ich von dir gehört habe«, hatte sie ihm versichert. Und doch hatte sie sich überwunden, das Leben ihres Sohnes zu beenden, ohne etwas von Harry gehört zu haben. Das würde sie erst jetzt. Als Stationsschwester Rachel eintraf, um ihr Mitgefühl zu offerieren, war Harry schon auf dem Weg nach draußen.
    »Mr. Barnett?«
    »Tut mir leid, keine Zeit.«
    »Warten Sie einen Moment. Setzen wir uns und...«
    »Das Warten ist vorbei, Rachel. Haben sie es Ihnen nicht gesagt? Seit drei Tagen.«
    Er nahm das erstbeste Taxi, das er draußen sah, und wollte nach Chorleywood gebracht werden. Der Fahrer lehnte ab, zitierte irgendeine Vorschrift und schlug die Bahnstation Marylebone vor. »Von da aus können Sie einen Zug nach Chorleywood nehmen.« Harry machte sich nicht die Mühe, Einwände zu erheben.
    In Marylebone musste er zwanzig Minuten warten. Er verbrachte sie in der Victoria and Albert Bar und trank Scotch in einem Tempo, das der Barmann eindeutig beunruhigend fand. Er erinnerte sich, dass er dort vor drei Jahren Zohra getroffen hatte, in einem anderen Leben, in einer Welt, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie mit David teilte, und vergessen hatte, dass er sie mit Iris teilte. »Ich werde nichts unternehmen, ohne dich vorher zu Rate zu ziehen.« Diesen Vertrauensbruch konnte sie nicht mit einem Achselzucken abtun, und er konnte es auch nicht. Dies war schlimmer als alle anderen Enttäuschungen seines Lebens zusammen. Dies war die Auslöschung dessen, was alles andere vielleicht der Mühe wert gemacht hätte.
    Der Zug von vierzehn Uhr siebenundfünfzig schlich verspätet aus den Vororten in den Flickenteppich der Landschaft. Das fahle Licht wich, der Tag verblasste, und die Kälte einer vorzeitigen Dämmerung kroch in Harrys Seele. Kurz nach fünfzehn Uhr dreißig erreichte der Zug Chorleywood, einen wohlhabenden Pendlerort, der in der unheimlichen Stille eines werktäglichen Nachmittags lag. Taxis gab es nicht. Er erkundigte sich in einem Fischgeschäft gegenüber dem Bahnhof nach dem Weg und ging dann mit schnellen, harten Schritten durch exklusive Wohnstraßen hügelaufwärts.
    Chalfont Lane war noch ein Stückchen exklusiver. Riesige, von Bäumen beschattete Villen lagen auf großen Grundstücken entlang einer breiten Allee. Etwa auf halber Höhe fand er das gesuchte Giebelhaus, durch dessen Fenster bereits warmes Lampenlicht strömte und über dessen makellosen Rasen der Duft von Holzrauch zog. Er marschierte schnurstracks zu der in einer tiefen Nische gelegenen Haustür und zog an der Glocke.
    Die Frau, die an die Tür kam, war plumper und rothaariger als Iris, aber unverkennbar ihre Schwester. Sie hatte den gleichen Kleidergeschmack, das gleiche vorsichtige Benehmen. In ihrem Blick, vergrößert durch die violett gerahmten Gläser ihrer Brille, lag ein erschrockener Hinweis darauf, dass sie wusste, wer er war, ohne dass eine Vorstellung nötig war.
    »Mrs. Tremaine?«
    » Ja. «
    »Ich möchte zu Iris.«
    »Oh, es tut mir leid, aber...«
    »Ich bin Harry. Ich nehme an, sie hat Ihnen von mir erzählt.« Das war offensichtlich, nicht zuletzt wegen des Blicks, den Blanche Tremaine über ihre Schulter warf, und ihres verwirrten Errötens. »Ist sie hier?«
    »Nein. Nein, sie ist nicht hier.«
    »Ich werde nicht gehen, ohne sie gesehen zu haben.«
    »Aber das können Sie nicht. Tut mir leid, aber das ist ganz unmöglich.« Sie trat zurück und wollte die Tür schließen, doch Harry stellte sich in den Weg. »Bitte, um Gottes willen! Wenn Sie nicht sofort gehen, rufe ich die Polizei!«
    »Fein, tun Sie das. Ich weiß, wie ungern sie sich in Familienstreitigkeiten verwickeln lässt.«
    »Das ist kein Familienstreit.«
    »Nein? Was glauben Sie, wird die Polizei auch dieser Meinung sein, wenn ich erzähle, dass man meinen Sohn diese Woche hat sterben lassen und dass Iris die Mutter ist, die ihm das angetan hat?«
    »Das ist unerhört!«
    »Allerdings! Und ich bin derjenige, der empört ist.«
    Blanches entschlossene Miene veränderte sich. Einen Augenblick lang sah es so aus, als teile sie seine Empörung über das, was geschehen war. Vielleicht war seine Meinung

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