Die Zauberlehrlinge

ein vernünftiges Arrangement. Ich war ihr natürlich auch dankbar, weil sie mich vom Haken der Polizei geholt hatte. Ich nehme an, ich merkte nicht, dass ich im Grunde nur einen Haken gegen einen anderen austauschte.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun ja, bei Athene zu wohnen bedeutete, dass ich David noch immer von Zeit zu Zeit sehen konnte. Er kam nicht häufig zu Besuch, aber er blieb mit Athene in Verbindung. So hatte ich immer die Chance, die Hoffnung, doch noch seine Aufmerksamkeit fesseln zu können. Ich hatte die Illusion, wenn Athene stürbe, würde er sich meiner erbarmen und mich irgendwohin mitnehmen. Jämmerlich, nicht?«
    »Das finde ich nicht.« Harry lächelte sie fast väterlich an. »Wir alle haben Illusionen.«
    »Ja? Na, meine ist jetzt jedenfalls zu Ende. David ist tot, und ich werde Athene nicht versorgen, bis sie senil ist. Die Tür zu meiner gemütlichen Strandzuflucht vor der Realität ist mir soeben vor der Nase zugeschlagen worden.«
    »Warum? Worin bestand das Problem?«
    »Ich muss wohl zu viele Fragen gestellt haben.«
    »Worüber?«
    »Hauptsächlich über ihre letzten Reisen.«
    »Reisen? Ich dachte, sie sei invalide. Ans Haus gefesselt, nahm ich an.«
    »Weit gefehlt.« Mace kicherte unfroh. »Arthritis und Emphysem kommen und gehen anscheinend, wie es ihr passt. Sie gehören zu Athenes Tarnung. Sie sagt, niemanden würden die Leute so wenig verdächtigen wie eine tatterige alte Frau. So sehr ignorieren. Und das wollte sie. Ignoriert werden, vergessen, vernachlässigt, übersehen, unterschätzt.« Sie hielt inne. »Vielleicht tödlich unterschätzt.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ich meine, dass sie nicht zu Hause war, als David erkrankte. Sie sagte, sie wäre bei einem College-Dinner in Cambridge. Aber ich habe das nachgeprüft. Sie war nicht dort. Im September war sie viel unterwegs, und jedesmal hat sie über ihr Ziel gelogen. Ungefähr eine Woche nach Ihrem Besuch im Oktober fuhr sie wieder weg.«
    »Für wie lange?«
    »Vierzehn Tage oder so.«
    »Wohin?«
    »Diesmal machte sie sich nicht einmal die Mühe, mich anzulügen. Sie sagte es einfach nicht.« Mace stieß einen langen Seufzer aus. »Damals war mir das ziemlich egal. Sie kam an dem Tag zurück, an dem ich im Krankenhaus anrief - von irgendeinem Instinkt getrieben, denke ich - und erfuhr, dass David tot war. Nur ein paar Stunden später kam Athene zur Tür herein. So ruhig, majestätisch, geisterhaft wie nur je. Ein bisschen wie der Tod persönlich, kalt, distanziert, über allem stehend. Wie ein Besucher von einem anderen Planeten. Sie hatte immer diese unirdische Art. Ich denke, das hat David zu ihr hingezogen.Nicht so sehr die Mathematik, eher ihr Ma gnetismus.« Maces Augen flackerten und begegneten Harrys Blick. »Sie war die andere im Leben Ihres Sohnes. Immer und ewig. Oh, machen Sie sich keine Sorgen, ich spiele nicht auf irgendeine bizarre sexuelle Beziehung an. Es war ihr Geist, dem er nicht widerstehen konnte. Einmal habe ich ihn gefragt, warum er sie immer weiter besuchte. Ich hatte eine schwache Hoffnung, er würde sagen, es sei meinetwegen. Aber statt dessen antwortete er mit äußerster Ehrlichkeit: Weil Athene wahrhaft bedeutend ist. Eine Mathematikerin, die ihrer Zeit mehrere Generationen voraus ist. Die brillanteste, originellste und innovativste numerische Denkerin seit Cardano .«
    »Seit wem?«
    »Gerolamo Cardano, ein italienischer Mathematiker aus dem sechzehnten Jahrhundert. Ich habe nachgeschlagen. Er war der Entdecker der Wahrscheinlichkeitstheorie und der komplexen Zahlen, was immer das sein mag.«
    »Ich habe nie von ihm gehört.«
    »Die meisten Leute haben auch nie von Athene Tilson gehört. Sie weiß mehr, als sie mir zu erkennen gibt , sagte David. Aber eines Tages, wenn ich selbst weit genug gekommen bin, werde ich sie überreden, ihre Geheimnisse preiszugeben «
    »Aber ich dachte, sie sagte, David hätte sie mit seiner Arbeit hinter sich gelassen.«
    »So, wie er es ausdrückte, versuchte er sie immer noch einzuholen.«
    »Oder hatte sie vielleicht eingeholt.« Wie Harrys Gedanken die Verbindungen zwischen den Tatsachen einzuholen begannen, die er vorher in keinen Zusammenhang hatte bringen können. »Am Ende.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wirkte ihre Beziehung irgendwie anders bei seinem letzten Besuch Anfang September?«
    »Ich weiß nicht, ich war nicht da. Athene hatte mich an dem Tag nach Cambridge geschickt, um ein paar Bücher abzuholen, die sie bestellt hatte. Ich erfuhr erst von