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Die Zauberlehrlinge

Die Zauberlehrlinge

Titel: Die Zauberlehrlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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Spinnweben, als hätte etwas seinen Kopf gestreift. Er trat an einen mannshohen Spiegel der neben einem Barometer am Telefontisch hing, und betrachtete sich. Als er die Hand hob, um sich die Stirn zu reiben, richteten sich seine Haare von allein auf. Das Telefon klingelte leise, nur ein einziges Mal, und verstummte dann wieder.
    Er ging weiter, blieb dann erneut stehen. Die Tür zum Arbeitszimmer war angelehnt, obwohl er sicher war, sie weit offen gelassen zu haben. Es gab keine offenen Fenster, durch die Zugluft entstanden sein könnte, und außer ihm war niemand im Haus. Oder?
    Zögernd drückte er die Tür auf, betrat den Raum und schaute zum Schreibtisch. Athene Tilson saß dahinter und lächelte ihm erwartungsvoll zu. »Hallo Harry«, sagte sie milde. »Suchen Sie etwas?« Dabei zog sie die Schreibtischschublade auf, nahm ein halbes Dutzend identischer, blau eingebundener Notizbücher heraus, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden, und ließ das Bündel vor sich auf die Schreibunterlage fallen.
    »Sie wissen, was das ist, nicht wahr, Harry? Sie fragten danach, als Sie letztes Mal herkamen. Das sind Davids Notizbücher. Alle. Sie warten nur auf Sie.«

62. Kapitel
    Auf den ersten Blick sah Athene Tilson genauso aus wie vor zehn Wochen. Grauhaarig, schmal bis zur Magerheit, gekleidet in Wollpullover, Polobluse und Cordhosen, hätte sie leicht als gebrechliche alte Frau gelten können, die dem Fortschreiten der Jahre ihren unschönen Tribut zu zollen hatte.
    Doch der zweite Blick erzählte eine andere Geschichte. Verschwunden waren die hängenden Schultern, die gebückte Haltung, die arthritische Steifheit, verschwunden auch der Eindruck von Schwäche und Behinderung. Sie war eine verwandelte Frau, oder vielleicht auch eine, die jetzt als das erschien, was sie immer gewesen war. Das hatte nichts mit Kosmetik zu tun, jede Künstlichkeit war aufgegeben worden. Diese Gewissheit teilte sich Harry durch ihre aufrechte Haltung, ihren intensiven Blick, die einschüchternde Gelassenheit ihrer Präsenz mit. Er fühlte sich wie ein Eindringling, der mit einer Hohenpriesterin konfrontiert ist. Was sie wusste, konnte er kaum zu verstehen hoffen, und was er verstand, wusste sie bereits.
    »Setzen Sie sich, Harry«, sagte sie ruhig und wies auf einen Stuhl. »Lassen Sie uns reden.«
    Harry gehorchte benommen, ließ die Tranchiergabel und das Hackmesser neben sich auf den Teppich fallen. »Ich habe Sie nicht hereinkommen gehört«, murmelte er.
    »Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte sie. »Wirklich, außerordentlich gut. Davids Zähigkeit muss ein ererbter Zug gewesen sein, meinen Sie nicht?«
    »Woher soll ich das wissen?« erwiderte Harry abschätzig. »Ich habe ihn nie kennengelernt.«
    »Das bedaure ich mehr, als ich sagen kann. Er hat mich um Rat gefragt, nachdem er Sie auf Rhodos aufgespürt hatte. Er fragte nach meiner Meinung darüber, was er nun tun sollte. Ich empfahl ihm, Sie zu vergessen, Sie aus seinem Leben auszuschließen. Das war ein Irrtum. Ich habe Ihnen angetan, was so viele andere mir angetan haben, ich habe sie unterschätzt. Ich habe die Oberfläche für die Substanz gehalten. Das tut mir sehr leid. Es war unverzeihlich, vielleicht unverzeihlicher als andere, drastischere Maßnahmen, die ich inzwischen ergriffen habe.«
    »Was für Maßnahmen?«
    »Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, Harry. Sie kennen sie bereits.«
    »Erzählen Sie mir von Dobermann.«
    »Also das führt Sie her. Sie haben die Verbindung gefunden, nicht? Nach all meinen Bemühungen, Sie daran zu hindern.«
    »Ich will die Wahrheit wissen.«
    »Wirklich? Sind Sie sich da sicher?«
    »Was war mit Ihnen und Dobermann und David?«
    »Was da war? Es war ein Traum. Für die beiden ein Traum und für mich ein Alptraum.«
    »Sie sprechen in Rätseln.«
    »Es ist ein Rätsel, aber es ist kein Spiel.«
    »Dobermann hat hier angerufen, während Sie im November verreist waren. Mace hat eine Nachricht aufgenommen.«
    »Das hat sie mir nie gesagt.«
    »Aber sie hat es mir gesagt.«
    »Wie lautete die Nachricht?«
    »Er hat gesagt, er hätte sich erinnert. Nach mehr als dreißig Jahren hätte er sich erinnert.«
    »Mein Fehler«, sagte Athene leise. »Allein meiner.«
    »An was hatte er sich erinnert?«
    »An etwas, das er besser für immer vergessen hätte.«
    »Was?«
    »Die Antwort auf das Rätsel.«
    »Sagen Sie es mir!«
    »Also gut.« Sie streckte einen Arm aus und fuhr mit der Hand über den Einband des obersten Notizbuches. »Aber

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