Die Zauberlehrlinge
hin, dass eventuelle Riegel nicht zugeschoben waren. Er bückte sich, um unter dem Wetterbrett durchzuschauen, und entdeckte einen fast zwei Finger breiten Spalt. Zusammen mit dem Bündel alter Zeitungen, die auf dem Deckel der Mülltonne neben der Garage lagen, stellte er buchstäblich eine Einladung dar. Harry ging hinüber, zog eine der Zeitungen aus dem Bündel und schaute dabei durch das Garagenfenster. In der Dämmerung erblickte er die voluminöse Form eines alten Humber. Wo immer Athene hingegangen war, es war vermutlich nicht weit. Harry hatte allerdings nicht vor, noch länger vor dem Haus auf sie zu warten.
Er ging zurück zum Wintergarten, faltete die obersten Seiten der Zeitung flach zusammen, schob sie unter der Tür durch und steckte dann die Spitze seines Kugelschreibers in das Schlüsselloch, bis der Schlüssel gehorsam auf die Zeitung fiel. Er lächelte über den einfachen Trick und erinnerte sich wie skeptisch er gewesen war, wenn er ihn in zweitklassigen Hollywoodfilmen zu oft gesehen hatte, als dass er glaubwürdig gewesen wäre. Dann schwand sein Lächeln, als ihm aufging, dass Sorglosigkeit auch Absicht sein konnte. Und Athene Tilson war ihm nicht sorglos erschienen. Als er die Zeitung und damit auch den Schlüssel vorsichtig zu sich heranzog, sah er das gefaltete Wall Street Journal genauer an. Es handelte sich um die Ausgabe von Dienstag, dem 8. November, dieselbe, die er in Chicago wegen des Aufmachers über den Preisverfall von Globescope-Anteilen nach Hammelgaards plötzlichem und unerklärlichem Tod in Kopenhagen gekauft hatte. Harry nahm den Schlüssel und faltete die Zeitung auseinander.
Wo der Artikel gestanden hatte, fand sich nur ein sauber ausgeschnittenes, rechteckiges Loch.
Dass Athene die Zeitung besaß, war verdächtig genug, doch das sorgfältige Ausschneiden des Globescope-Artikels steigerte Harrys Verdacht zu verwirrtem Unglauben. Er öffnete die Tür und eilte durch den Wintergarten in den Wohnraum, wo er nur innehielt, um der Stille des leeren Hauses zu lauschen. Sie war nicht da. Aber sie war so präsent, dass die Wände, die Möbel und selbst die Luft mit ihrer Gegenwart getränkt schienen. Sie war nicht da, und dennoch fühlte Harry sich nicht gänzlich allein.
Instinktiv ging er durch die Halle zum Arbeitszimmer. Es war so, wie er es in Erinnerung hatte: der Schreibtisch mit den Papieren, die Regale mit Büchern beladen. Das Foto von den Leuchten des Princeton Institute hing noch immer über dem Kaminsims. Aber die Wandtafel war diesmal leer. Harry starrte sie etwas verwundert an. Wo waren die Gleichungen, die Formeln, die hingekritzelten griechischen Buchstaben? Wo war die angefangene Arbeit? Augenscheinlich ausgewischt. Aber warum? Warum hatte sie ausgewischt werden müssen?
Er ging um den Schreibtisch herum und blätterte ziellos in den gestapelten Papieren. Auch hier war alles leer. Das hatte etwas Geplantes an sich. Selbst die Notizkladde enthielt nur leere Seiten, und der Schreibtischkalender, unübersehbar plaziert, war der vom vergangenen Jahr. Irgendwie hatte Harry angenommen, eine so methodische Denkerin wie Athene Tilson würde ihn pünktlich am 1. Januar durch einen neuen ersetzen. Dass sie es nicht getan hatte, empfand er als rätselhaftes, aber sicheres Vorzeichen.
Er öffnete den Kalender und blätterte zu dem Datum, das sie ihm für Hammelgaards Besuch genannt hatte: 20. September. Davids Freund, hatte sie gekritzelt, 15.30. Er blätterte zu seinem eigenen Besuch; das Datum wusste er nicht mehr genau. Dann lag die Seite vor ihm. Aber sie sah nicht so aus, wie er erwartet hatte. Unter dem Datum des 25. Oktober stand: Davids Vater 11.45.
Dass er Davids Vater war, hatte er ihr erst bei seiner Ankunft gesagt, nicht vorher, und sie konnte es kaum erraten haben. Der Eintrag war entweder nach seinem Besuch erfolgt, was völlig sinnlos erschien, oder sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Sie hatte gewusst, was nach Iris' fester Überzeugung niemand wissen konnte. Sie hatte es gewusst, bevor Harry selbst es erfahren hatte.
Er zog an der Schreibtischschublade. Jetzt war er nicht mehr nur ungeduldig, sondern wütend. Die Schublade war solide gebaut und verschlossen, doch Schlösser konnten ihn nun nicht mehr aufhalten. Er ging durch die Halle in die Küche, wo er eine Tranchiergabel und ein altes Hackmesser fand, die aussahen, als könnten sie den Job erledigen.
Als er wieder zurückging, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Es war, als gehe er durch
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