Die Zauberlehrlinge

es ist schwer zu erklären. Es gibt keine Worte, um die Struktur der Welt zu beschreiben, wie sie für meinen Verstand sichtbar geworden ist. Mit zunehmendem Alter sind Reichweite und Schärfe meiner Wahrnehmung gewachsen. Früher war alles überwältigend und verwirrend. Jetzt ist die Klarheit unglaublich. Die Fähigkeit ist latent auch in Ihnen vorhanden, Harry, und im Geist jedes Einkaufsbummlers, der durch die Straßen von Southwold geht. Wenn sie auf einmal manifest würde, wären Sie wie ein Blinder, der plötzlich die Sehfähigkeit eines Teleskops hätte. Es gibt einen Unterschied der Maßstäbe, eine Phasenverschiebung, die Sie sich buchstäblich nicht vorstellen können.«
    »Sie sprechen von höheren Dimensionen.«
    » Ja. «
    »Hokuspokus, wie Adam Slade gesagt hat.«
    »Alles ist Hokuspokus - im Geist eines Scharlatans. Wenn Sie wollen, halten Sie mich auch für einen. Das ist vermutlich sicherer. Glauben Sie ruhig, dass das, was ich Ihnen gleich erzählen werde, die Phantasie einer alten Frau ist. Aber es ist nicht so. Ich weiß, dass es nicht so ist.«
    »Überzeugen Sie mich.«
    »Das kann ich nicht. Sie sind kein Mathematiker. Sie verstehen nicht, Sie werden nie verstehen. Gut. Ich freue mich für Sie.« Sie lächelte. »Was haben Sie sich bei meinem Buch gedacht?«
    »Nichts. Es ging weit über meinen Horizont.«
    »Genau. Aber das Buch ist der Anfang. Zahlen sind der Schlüssel. Deren Natur und Verhalten - ihr Besitz einer Realitätsebene, die Mathematiker zu benutzen und zu respektieren lernen, ohne sie jemals ganz zu begreifen - sind Schatten, die Formen von außerhalb auf die vierdimensionale Welt werfen. Wir sehen die Schatten, aber nicht ihre Formen. Doch es kann keinen Schatten geben ohne eine Form. In diesem Buch fing ich an, mir den Weg zu ihnen zu ertasten, wie Sie sich in einem dunklen Zimmer vielleicht den Weg zur Tür ertasten, langsam und mühevoll. Seither ist mein Wissen exponentiell gewachsen. Ich kann jetzt darin lesen wie im Schreibblock eines Kindes, obwohl es Geheimnisse enthält, die kein Mathematiker des zwanzigsten Jahrhunderts zu verstehen hoffen kann.« Sie hielt inne. Als sie weitersprach, klang in ihrer Stimme ein Hauch von Schuldgefühlen mit. »Kein lebender sollte ich sagen.«
    »Sie meinen David?«
    »Und vielleicht auch noch einen anderen: Srinivasa Ramanujan, das Genie aus Madras. Sein Werk über Modularfunktionen legt nahe, dass er, wenn er Die implizite Topologie komplexer Zahlen noch hätte lesen können, dessen Bedeutung wohl verstanden hätte. Aber Ramanujan starb zwei Jahre vor meiner Geburt im Alter von nur dreiunddreißig Jahren.«
    »Im gleichen Alter wie David.«
    »Ja.« Wieder strich sie mit der Hand über die Notizbücher. »Dreiunddreißig. Eine magische Zahl nennen die Mathematiker das. Eine, die in Berechnungen auftaucht, wenn man sie am wenigsten erwartet, aus Gründen, die man sich nicht vorstellen kann.«
    »Aber Sie können das?«
    Ihr Hand glitt von den Büchern. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Mein Buch hat die Aufmerksamkeit herausragender Leute erregt, trotz seiner Esoterik oder vielleicht gerade deswegen. Ich wurde hauptsächlich wegen Gödels Interesse an dem Buch nach Princeton eingeladen, und das wiederum machte Einstein neugierig. Dort machte ich zwei wichtige Entdeckungen. Erstens, dass es möglich sein könnte, den Geist so zu trainieren, dass er die numerologischen Grundlagen höherer Dimensionen so sicher, natürlich und instinktiv begreift, dass man den mentalen Sprung zu ihrer direkten Erfahrung tun könnte.«
    »Das ist verrückt.«
    »Denken Sie das ruhig, wenn es Ihnen hilft, nachts zu schlafen. Ich beschreibe Ihnen nur einen Weg, den ich bereits gegangen bin. Die Existenz höherer Dimensionen ist mathematisch viele Male verifiziert worden. Die Theorie der Verdichtung ist eine Post hoc- Rationalisierung. Sie geht am Thema vorbei. Fragen Sie Miss Trangam, einen wie großen Teil des Gehirns wir wirklich verstehen. Wenn sie ehrlich antwortet, wird sie sagen: kaum etwas. Was wir Bewusstsein nennen, ist ein partielles Bewusstsein. Der Rest ist da oben verschlossen«, sie tippte sich an die Stirn, »und wartet darauf, dass wir den Schlüssel umdrehen.«
    »Was Sie getan haben?«
    »In gewissem Sinn. Aber ein Schlüssel kann nicht nur auf-, sondern auch zuschließen. Das war meine zweite Entdeckung.«
    »Was meinen Sie?«
    »Ich meine, dass das, was möglich ist, nicht unbedingt wün schenswert ist. Stellen Sie sich vor, Sie