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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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da war er ja, der kleine Abgott, schob ein Holzpferdchen auf Rädern vor sich her und sang tonlos. Möchtest du gern die grüne Frau besuchen, kleiner Junge? Die grüne Frau mit den wäßrigen Zehen? antwortet er, und der alte Hund versucht, sie zu beißen, aber sie weist ihn mit einem gewaltigen Tritt ab. Und bevor sein Gejaule die Alte aus dem Schlummer reißen kann, hat sie das dreckige Kerlchen schon in ihren schwarzen Umhang gewickelt und ihn wie ein Bündel hochgehoben. In der Ferne schreit jemand, doch jetzt ist die schnelle Zeit, und viele Stimmen wirbeln ihr durch den Kopf, und sie rennt kraftvoll die Außentreppe am Turm hinunter, hat sich das zappelnde, brüllende Bündel über die Schulter geworfen. Da, neben der Stalltür stehen die gesattelten Pferde der hohen Herren, die zu Besuch sind, und warten. Vorsehung, Vorsehung, singen die Stimmen, und sie wirft das Bündel über den nächsten Sattel und schnappt sich die Zügel. O wunderbar, wunderbar, der Wind im Gesicht und das Blut, das ihr wie geschmolzenes Licht durch die Adern rinnt. Die Welt funkelt und glitzert, und die grüne Frau lockt mit lieblicher, plätschernder Stimme.

    »Wohin ist sie, wohin ist sie?« rief Margaret und schüttelte die Kinderfrau, während Sir Hubert und seine Knechte nach oben in den Söller stürmten.
    »Oh, vergebt mir, ich habe sie nicht gesehen!« schluchzte die alte Kinderfrau. »Sie war so schnell!« Ein gräßlicher Gedanke durchzuckte Margaret. Petronilla war nicht durch den Palas gekommen. Sie konnte nur über die Außentreppe geflüchtet sein. Falls sie Peregrine nicht vom Bergfried geworfen und umgebracht hatte, gab es nur einen Ort, wohin eine Frau gehen würde, die so wahnsinnig war wie sie.
    »Die Quelle«, sagte Margaret und stürzte ohne nachzudenken an dem Schirm vorbei und die Stufen vor der Haustür hinunter, Gilbert hinter ihr her. Während die anderen, die nicht so schnell begriffen hatten, noch den Söller und die Turmzimmer absuchten, hatten sie sich bereits zwei der gesattelten Pferdchen geschnappt, die im Hof auf die Schreiber warteten, und preschten in gestrecktem Galopp durch das Burgtor, vorbei an den Feldern und querfeldein über die Koppel am Waldrand. Dort meinten sie, eine Gestalt mit flatterndem Kleid auf dem großen braunen Wallach des Richters zwischen den Bäumen verschwinden zu sehen, und sie folgten ihr, ritten aber langsamer, denn ihre Pferdchen konnten es nicht mit dem Fuchs aufnehmen, waren schweißbedeckt und keuchten. Mittlerweile hatte man auch in der Burg die Verfolgung aufgenommen: Knechte und Burggesinde setzten ihnen nach.
    Doch als Margarets Pferd durch das Unterholz auf die Lichtung brach, sah sie, daß sie zu spät kam. Petronilla war geradewegs in den Weiher hineingeritten, das brüllende schwarze Bündel noch immer vor sich auf dem Sattel. Grünes Wasser brodelte ihr um die Knie und um den Bauch des Pferdes. Rings um sie knisterte die Aura völligen Wahnsinns, ihre Augen funkelten irre, und ihr Lächeln war eine verzerrte Grimasse.
    »Oh, Euch wollte ich dabeihaben«, schrie sie. »Der Wasserdämon hat Euch auf meinen Befehl gerufen, denn Ihr sollt wissen, was ich mache. Seht mein Opfer! Alles, was Euch gehört hat, gehört jetzt mir!« Und ehe Margaret sie erreichen konnte, hatte sie das Bündel in die Mitte des brodelnden Weihers geworfen, dann schlug sie mit der Peitsche so auf den Fuchs ein, daß er mit einem einzigen Satz auf die schlammige Böschung des Weihers sprang, sie hochkletterte und im Wald verschwand. Ehe Gilbert sein Pferd zur Mitte des Weihers treiben konnte, war das schwarze Bündel bereits untergegangen.
    Inzwischen hatten alle übrigen sie eingeholt, und da bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Gilbert umkreiste hoch zu Roß die brodelnde Mitte des Weihers, suchte sie nach dem Kind ab, während Margaret abgestiegen war und mit einem langen Stecken stocherte. Der Herr von Brokesford stieß einen Schrei aus, einen so gräßlichen Schrei, daß selbst die Vögel in den Bäumen verstummten und die Bäume erbebten. »Seht nur, seht«, sagte einer der Knechte zu dem Richter, und da sahen sie, daß aus dem großen Felsen am Weiher rotes Blut sickerte.
    »Sie hat ihn mitten hinein geworfen«, sagte Gilbert, und die Stimme brach ihm. »Ich kann ihn nicht mehr sehen. Er ist verloren.« Doch der Herr von Brokesford war schon nicht mehr da, sondern setzte Lady Petronilla nach, und man hörte nur noch sein Pferd durch das Unterholz brechen.
    Der Richter und die

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