Die Zauberquelle
Knechte waren abgestiegen, liefen durcheinander und suchten nach etwas, nach einer Stange, einem Haken, nach irgend etwas. Sie wußten zwar, daß es vergebens war, aber sie mußten etwas tun, sie konnten doch nicht wie Blöde herumstehen. Margaret jedoch watete mit ihrem langen Stecken und ausdruckslosen, blicklosen Augen in den Weiher hinein. »Margaret, um Gottes willen, bleib stehen! Nicht näher heran, ich will dich nicht auch noch verlieren!« schrie Gilbert.
Und nun erlebten alle etwas höchst Sonderbares, etwas Rätselhaftes, worüber an langen Winterabenden an allen bäuerlichen Herdfeuern geredet wurde, etwas Gräßliches, was alle, die es gesehen hatten, nie im Leben vergessen würden und nur im Flüsterton weitergaben. Die Quelle in der Weihermitte gab einen eigenartigen Laut von sich. Es hörte sich an wie »blubb, glubb«. Dann setzte das Brodeln aus, und der Weiher lag totenstill. In dem gespenstischen Schweigen schrie Margaret: »Bei der gnadenreichen Muttergottes befehle ich dir, gib mir mein Kind zurück!« Der Klang hallte durch den Forst, und dann raschelte es ganz sonderbar, so als führe eine Brise durch den Eibentempel. Unten in der stillen grünen Tiefe bewegte sich etwas, trieb etwas. Etwas Schwarzes breitete sich unten in den Schatten aus. Niemand am Ufer rührte sich. Gilberts Pferd stand wie angewurzelt im seichten Wasser. Etwas trieb sacht, ganz sacht zur grünen Oberfläche hoch. Ein roter Zipfel, ein Kinderkittel, aber unerreichbar. Dann ein Gesicht. War es ein Gesicht? Aufgedunsen, weiß, still, mit geschlossenen Augen trieb es friedlich in der grünen Tiefe, dann drehte es sich und wollte wieder untergehen.
Blitzschnell griff Margaret zu. Sie watete tief, viel zu tief hinein, das Wasser ging ihr bis zur Taille, dann bis zu den Schultern, aber sie bekam den treibenden roten Zipfel, den Kittel ihres Kindes zu fassen. Jetzt war auch sie rettungslos verloren, doch Gilbert war weiter ins Wasser geritten und packte sie unter ihrem Kopftuch beim Haar und zog sie aus dem tiefen Wasser, während sie den Kittel ihres Kindes umklammerte. Als sie ins seichte Wasser kamen, packte er sie bei den Schultern, wollte ihr aufhelfen, doch sie sagte mit harscher, fremder Stimme: »Faß mich nicht an.« Ihre Augen waren glasig, als sie aus dem Weiher kam, Kleider und Haare waren naß und überall voll grüner Schlieren, ihr Kopftuch hatte sich gelöst und trieb im Wasser.
Sie hielt ihr Kind an den Füßen hoch, und das Wasser schoß ihm aus Mund und Nase. Sie drückte auf seinen Bauch, und es kam noch mehr. Niemand wagte, sie anzufassen. Um ihr Gesicht und ihre Hände lief ein Knistern, ein Licht, ein heller Schein, wie Sonne, die sich auf Wasser spiegelt. Sie legte den Kleinen auf die Erde und beugte sich über ihn. Was tat sie da? Niemand konnte es sehen, niemand wagte zu reden. Man hörte sie schrecklich stöhnen, dann brach sie wie tot über dem Kind zusammen. Gilbert griff zu und drehte sie um. Sie war leichenblaß, anscheinend hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen.
»Margaret, Margaret!« schrie er. »O Gott, der Kummer hat sie umgebracht. Warum hast du mich verschont?«
»Nein, nein, Mylord. Seht. Seht doch den Kleinen.« Gilbert sah hin, und da bot sich ihm der sonderbarste Anblick, etwas, was er noch nie gesehen hatte, und dabei hatte er schon viel gesehen. Das stille weiße Gesicht färbte sich langsam rosig. Er legte die Hand auf die kleine Brust. Sie bewegte sich auf und ab. Er legte die Hand auf Margarets Brust. Auch sie bewegte sich auf und ab.
»Lebt sie noch?« fragte der Richter und kniete sich mit banger Miene neben die beiden.
»Sie, sie«, murmelte Gilbert, »sie hat etwas gemacht.« Dann hörte er einen Laut, einen leisen Laut. Margaret stöhnte.
»Mutter Hilde«, sagte sie. »Wo ist Mutter Hilde?«
»Sie ist nicht da. Aber ich bin da«, sagte Gilbert.
»Hol meine Frauen, hol meine Frauen. Ich verliere das Kind, das ich trage«, sagte sie, und dabei rannen ihr still die Tränen aus den Augen, rannen durch die grünen Schlieren und tropften auf die Erde. Zärtlich wischte Gilbert ihr das Gesicht.
»Nicht weinen«, sagte er, »o bitte, nicht weinen. Peregrine atmet.«
»Ja, ich weiß«, antwortete sie fast unhörbar. »Ich habe ihm zweimal das Leben geschenkt. Möge Gott ihn behüten, ich glaube nicht, daß ich das noch einmal kann.«
Der Herr von Brokesford ritt dem gedämpften Geräusch der Hufe und der knackenden Zweige mit der ganzen Geschicklichkeit nach, mit der er
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