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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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sonst einen fliehenden Hirsch verfolgte. Schließlich erblickte er in der Ferne Petronilla, die im gestreckten Galopp über das Brachland am Waldrand preschte. Seine Miene war grimmig wie der Tod, als er sein Pferd durch welke Blätter, über Gräben, ja sogar durch den plätschernden Bach trieb, um ihr den Weg abzuschneiden. Sie ritt wie der Teufel und so hervorragend und wagemutig, wie nur wahrhaft Wahnsinnige reiten, aber Sir Hubert war zu allem entschlossen, und dieser tödliche Vorsatz sagte ihm fast im voraus, wohin sie wollte. Jetzt galoppierte sie über die Koppel, und er immer hinterher und immer näher. Als sie merkte, daß er aufholte, wendete sie, ritt am Gehölz vorbei und verlangsamte den Schritt, weil sie wieder in den Wald wollte, wo sie ihn hoffentlich abschütteln konnte. Doch jeder Geheimpfad, den sie einschlug, war dem alten Ritter noch besser bekannt, denn er hatte von Kindesbeinen an in diesen Wäldern gejagt. Wie sehr sie sich auch abmühte, sie wurde ihn nicht los. Äste griffen nach ihrer Haube und rissen sie herunter, und ihre Zöpfe lösten und verhedderten sich, als sie im Unterholz kehrtmachte. Ihr Pferd war mittlerweile schweißbedeckt und wurde langsamer. Sie kam an einer seltsamen Felsformation vorbei, die aus dem Waldboden ragte, und da wußte Sir Hubert, daß er sie hatte. Er drehte ab, und sie dachte, er hätte sie verloren. Sie ließ ihr Pferd im Trab gehen, folgte einer schmalen Rotwildfährte, die ihr unbekannt war, die jedoch so aussah, als führte sie zu Klosterland. Dort würde er nie wagen, sie anzurühren, das war geweihter Boden. Das Kloster heißt Sicherheit, sangen ihre Stimmen.
    Doch die Fährte führte zu einer feuchten, buschbewachsenen Stelle, die auf drei Seiten von steinigen, dicht bewachsenen Hängen eingeschlossen war, die sie nicht hinaufreiten konnte. Und als sie merkte, daß ihr der Weg verlegt war, als sie abdrehte und zurückreiten wollte, sah sie den Herrn von Brokesford auf dem Pfad warten, den sie gekommen war. Unbeweglich saß er da und versperrte ihr auf seinem großen Pferd den schmalen, zugewachsenen Weg. Seine Augen waren die harten Augen eines Scharfrichters.
    »Laßt mich vorbei«, sagte sie.
    »Hier kommt Ihr nicht mehr lebend heraus«, sagte der Herr von Brokesford.
    »Oh, Ihr müßt mich aber herauslassen. Ich trage den einzigen Erben. Habt Ihr das nicht gewußt? Jetzt bekomme ich einen Sohn. Der Weiher hat es versprochen. Er hat mein Opfer angenommen. Die grüne Frau liebt mich.«
    »Und ich gebe Euch den Gnadenstoß«, sagte der Herr von Brokesford. »Für mich seid Ihr nichts weiter als ein tollwütiger Hund oder ein Pferd mit gebrochenem Bein.«
    »Das dürft Ihr nicht. Ich bin eine Lady«, sagte Petronilla.
    »Ihr seid keine Lady«, sagte der alte Ritter, »und schon gar keine ehrbare Frau. Aber Ihr seid ein menschliches Wesen mit einer Seele, ich gestatte Euch, vorher zu beten.«
    »Was habe ich denn getan? Ach, habt ein Herz, versteht mich und meine Not. Wenn Ihr die Dinge so sehen würdet wie ich, würdet Ihr mich ziehen lassen.«
    »Ich habe kein Herz. Ich kann nicht sehen. Ihr habt mir die Augen geraubt«, sagte der alte Mann.
    »Aber Ihr seid doch ein Christ. Ihr müßt vergeben. Ich kann Buße tun. Laßt mich ziehen, und so wahr ich lebe, ich gehe ins Kloster und bete jeden Tag, jede Stunde…«
    »Betet jetzt. Gott versteht sich aufs Vergeben, aber ER ist größer als ich. Und wenn ich Euch zweimal, dreimal, hundertmal umbringen würde, nichts kann den Tod des kleinen Jungen gutmachen.« Genau in diesem Augenblick merkte Petronilla mit der quecksilberflinken Einsicht der Wahnsinnigen, daß der Gedanke an Peregrine ihn ablenkte und daß er den Blick senkte. Blitzschnell versuchte sie, ihr Pferd an seinem vorbei und in die Freiheit zu treiben. Doch der alte Mann war wie eine Katze, die nur stillhält, damit sie besser zuspringen kann, und als ihr Pferd an seinem vorbeischoß, packte er sie bei den herabhängenden Zöpfen und riß sie aus dem Sattel. Mit einer einzigen raschen Bewegung ließ er seine Zügel fallen, zog das lange Messer aus dem Gürtel und stieß es ihr ins Herz. »Du Ungeheuer«, sagte er und blickte auf sie hinunter, die mit dem Gesicht nach unten an der Flanke seines Pferdes zusammengebrochen war, festgehalten nur von ihrem langen honigblonden Haar. Und während ihr das Lebensblut aus dem Mund und die Brust hinunterrann, verdrehten sich ihre Augen zu ihm.
    »Auch nicht mehr als Ihr«, sagte sie. Und kein Jagdhorn

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