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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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der allertugendhafteste unter ihnen gewesen. Aber wo war die Liebe?« sagte die Stimme.

    Gilbert de Vilers' blicklose Augen starrten in das erschrockene Gesicht eines seiner Armbrustschützen. Er blinzelte.
    »Er hat geblinzelt!« rief der Soldat. »Ein Wunder! Er lebt!«
    »Nehmt mir den Helm ab«, flüsterte Gilbert, »ich habe gräßliche Kopfschmerzen.« Er merkte, daß man seinen Fuß aus dem Steigbügel befreit, ihm den Waffenrock ausgezogen und den Brustharnisch abgeschnallt hatte. Hatten die Herolde die Erschlagenen bereits gezählt? Hatten sie seinen Leichnam geplündert? In seinem Bein hämmerte der Schmerz. Hoffentlich war es nicht gebrochen. Da lag ja auch Urgan mit verdrecktem Zaumzeug. »O mein Gott«, stöhnte Gilbert, »Vaters Pferd. Ich bin erledigt. Das überlebe ich nicht.« Graue Wolken eilten über den Himmel, dessen Helligkeit ihm noch immer in den Augen weh tat. Er schloß sie erneut. »Ich habe mir, glaube ich, das Bein gebrochen«, sagte er. »Schickt nach dem Feldscher und nehmt Urgan das Zaumzeug ab.« Jemand schob ihm etwas unter den Kopf – es roch nach einer Satteldecke –, und er hörte Geklapper und Geschnaufe, als man versuchte, die Gurte seines schweren Kriegssattels zu lösen und ihn unter dem toten Tier hervorzuziehen. Seltsam, aber er konnte wieder riechen. Die Decke, der stinkende Morast, der Geruch nach verkohltem Holz, alles mischte sich mit der kalten Luft. Dann hörte er – ein Schnauben. Er schlug die Augen auf. Urgan zuckte am ganzen Leib wie ein abgestochenes Schwein, dann strampelte er wie wild, kam in panischem Schrecken hoch und schüttelte den Sattel und andere Ausrüstungsgegenstände ab, so daß sie mit lautem Krach zu Boden fielen. Gilbert drehte den Kopf und sah zu, wie sie sich abmühten, die Zügel des bockenden Schlachtrosses zu packen und gleichzeitig seinen gemeinen Hufen auszuweichen.
    »Wer hätte das gedacht«, sagte Aimery, der Schildknappe. »So gut wie neu und so hinterhältig wie eh und je. Aber seht euch das an – überall, wo auf seinem Fell Metall aufgelegen hat, sind große Brandmale.«
    Zwei Wunder, o Herr, dachte Gilbert und blickte von dem rumpelnden Karren, auf den man ihn zu den anderen Verwundeten gelegt hatte, zu dem trostlosen grauen Himmel hoch. Das heißt doch, ich soll Margaret wiedersehen.

    König Edward III. unternahm einen Ausritt mit seinen Ratgebern, um den Schaden zu schätzen. Neben der Heerstraße lagen tote Tiere. Die kleine Gruppe hoch zu Roß hielt an und sah zu, wie Viehtreiber einem toten Ochsen das Joch abnahmen. Das Heer hatte so viele Zugpferde verloren, daß es nicht mehr beweglich war. Zwölfhundert Reitpferde umgekommen. Was das Unwetter an menschlichem Blutzoll gefordert hatte, wurde erkennbar, als die Lebenden die Toten einsammelten. Soldaten und Knechte, Schmiede und Stellmacher, mit Lederhelm oder ohne Helm – alle hatte es tödlich getroffen. Herolde ritten herbei und lasen die erste Liste mit den Namen der erschlagenen Edelleute vor. »So viele, so viele«, sagte der König. Der kalte Wind zerrte an seinem Mantel und zerzauste seinen langen Bart, der die ersten grauen Fäden aufwies, wie seine Ratgeber bemerkten. »Es ist Gottes Wille«, sagte er. »Ich beuge mich der Forderung des Papstes und handle einen Friedensvertrag aus.« Am ersten Mai trafen sich unweit von Chartres französische Geistliche und Gesandte zu Verhandlungen mit den englischen Kriegsherren. Gemeinsam brachten Abgeordnete der französischen und englischen Delegationen dem Dauphin den Vertrag zur Unterzeichnung nach Paris. Die Stadttore wurden aufgeworfen; alle Glocken läuteten, und die Straßen wurden mit Wandbehängen geschmückt. König Edward jedoch war nicht zugegen und erlebte die Festlichkeiten nicht mit. Da ihm die französische Krone entglitten war, ritt der König von England im gestreckten Galopp mit seinen vier Söhnen zum nächstgelegenen Kanalhafen und überließ es dem Herzog von Lancaster, das Heer nach Calais zurückzuführen.

Kapitel 4
    I m oberen Stockwerk des Häuschens in der belebten Gasse namens St. Katherine's Street stand das obere Fenster offen, und Mutter Hilde beugte sich heraus und begoß die Ringelblumen im Kasten darunter. Sie sah womöglich noch rundlicher und fröhlicher aus als bei unserer letzten Begegnung, denn im Frühling werden Babys geboren, und die bedeuten Wohlstand für Mutter Hilde, da sie die gescheiteste Hebamme in ganz London, wenn nicht im ganzen Königreich ist. Sie hatte die Ärmel

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