Die Zauberquelle
fragte Alison, die für meinen Geschmack zuviel Spaß an Schauergeschichten hatte.
»Vom Naschen an rohem Teig? Ganz gewiß ist das schon einer Menge kleiner Naschkatzen passiert. Sieh doch nur, wie er in der Schüssel aufgeht. Das soll doch nicht etwa in deinem Bauch passieren, oder?«
»Dann kennst du also niemanden, Mama«, sagte Cecily und traf wie üblich ekelhaft scharf den wunden Punkt.
»Haben wir keine Rosinen? Ich will einen Kuchen backen, einen ganz, ganz sühühüßen«, verkündete Alison.
»Keine Rosinen, keinen Zimt, keinen Pfeffer, bis Vater heimkommt. Alles zu teuer.« Die laue Brise trug vom Baum vor dem Fenster das Gekreisch einer Elster herein, dann rief sie mit fast menschlicher Stimme so etwas wie »lecker, lecker, lecker, lecker«.
»Ach, da ist ja meine böse Elster, die weggeflogen ist, als man ihren Käfig zerschlagen hat. Die hat auch so schön gesprochen! Jetzt lernt sie lauter schlimme Sachen von den Vögeln da draußen. Ihr könnt mir glauben, die setzt sich nur in den Baum, um mich zu ärgern.« Die Köchin steckte den Kopf zum Fenster hinaus und rief: »Komm zu Mama. Guck mal. Ich hab dir was Leckeres hingelegt. Lecker, lecker!« Und bei diesen Worten legte sie ein kleines Stück Schinkenfett zwischen die Handvoll Krümel auf die Fensterbank. Der Vogel huschte herbei, zeigte schwarzes und weißes Gefieder und stolzierte auf dem Fensterbrett auf und ab und musterte die Menschen drinnen im Haus mit schwarzen Knopfaugen. Wir verhielten uns ganz still, damit er nicht dachte, wir wollten ihn einfangen. Zunächst legte er den Kopf schief, richtete ein glänzendes Auge auf den Leckerbissen, dann schlang er ihn blitzschnell hinunter. »Lecker, lecker, lecker«, rief er und flog in die grünen Äste vor dem Fenster zurück.
»Wir haben eine Abmachung, der Vogel und ich«, sagte die Köchin. »Er kommt nicht rein, und ich fang ihn nicht. Aber er ist auf die schiefe Bahn geraten, möchte ich meinen. Er haust in dem Baum wie ein Räuber und stiehlt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Schämen sollte er sich.«
»Er hat auch mein Haarband, das ich mir im Garten herausgezogen habe. Ich habe es nur auf die Bank gelegt, und schwupp war es weg«, sagte Alison.
»Da ist es also geblieben«, sagte ich. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst es nicht abnehmen?«
»Es ist rausgerutscht, als ich mit Peter Wengrave Ball gespielt habe«, sagte Alison.
»Der Vogel hat es einfach mitgenommen und in sein Nest eingebaut, ich habe es gesehen«, sagte Cecily.
»Das ist kein Nest, das ist ein Abfallhaufen«, sagte die Köchin.
»Bitte laß es nicht herunterreißen«, sagte Cecily. »Vielleicht hat er eine Familie drin.«
»Der brütet doch nur einen Haufen böse Elstern aus, aber was kann man heutzutage auch anderes erwarten? Das Jüngste Gericht ist nahe herbeigekommen«, sagte die Köchin und knetete mit dem kräftigen rechten Arm den letzten Teigkloß durch. Draußen hörten wir betrunkene Radaubrüder ein neues Lied anstimmen. »Es wollt ein König eine Kron', ritt aus mit edlen Herren…« So fing es an, ehe es der Wind verwehte. Neuigkeiten aus Frankreich, und schon zum Lied verarbeitet. Wahrlich, die Kunde von der Niederlage hatte sich schnell verbreitet.
»Haltet ein, ihr hirnlosen Saufbrüder! Habt ihr eure Sünden bedacht? Eitler Gesang statt frommer und gesitteter Unterhaltung, alles ist eitel…« Du liebe Zeit, der Frühling hatte auch Will, den Straßenprediger, ins Freie gelockt. Und es gab nur einen Grund, warum er in unsere Gegend kam. Gleich steht er an der Küchentür und bittet um eine Anleihe. Und schon hörten wir Schritte auf der Gasse und eine Stimme am geöffneten Fenster. Die Elster hockte auf einem Ast über ihm und musterte Wills langes, schäbiges schwarzes Gewand und die mottenzerfressene Kappe, deren Ohrenklappen er hochgeschlagen hatte.
»Ha, Vogel. Du kleidest dich in Schwarz und Weiß wie ein Dominikaner. Und wie die Dominikaner bist du mir beim Betteln zuvorgekommen. Ich weiß sehr wohl, daß du, Vogel, ein gemeiner Spaßmacher bist. Ach, welch böse Welt, in der Edelleute und Bürger zuerst Gaukler und Marktschreier bedenken und nicht die Männer der Gelehrsamkeit.« Ich steckte den Kopf aus dem Fenster. Master Kendall hatte uns Will mitsamt seiner endlosen Liste aller Sünden und Verderbtheiten der weltlichen Herren Londons vermacht, und er hatte immer gesagt, es sei gut, wenn jemand einem den Kopf zurechtsetzte und daran erinnerte, wie andere einen
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