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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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voran, denn unter dem knospenden Geäst mit dem frischem Laub lag nichts; jedes Zweiglein, jeder heruntergefallene Ast war von den Bauern als Brennholz gesammelt worden, denn die Bäume selbst anzurühren, das bedeutete den Tod. Sie kamen an einer Lichtung vorbei, die ein Flußlauf teilte, hier noch ein Bach, und Bruno verlor erneut die Witterung. Sie ritten auf der Fährte des Hirsches weiter bachaufwärts und wieder in die Waldestiefe hinein, während Bruno die Ufer nach der verlorenen Witterung absuchte.
    »Was ist das hier?« fragte Sir William. Sie hatten die Stelle erreicht, wo der Bach entsprang, eine Quelle wie ein tiefer, felsiger Weiher, nur in der Mitte brodelte grünes Wasser aus unendlicher Tiefe empor und wallte wie in einem Kochkessel. Neben der Quelle ragte ein hoher Felsen auf, der von einem Seil mehrfach umschlungen war. An dem Seil hingen Stofflappen, einige bereits ausgebleicht. Aber am seltsamsten war, daß sich an der Quelle eine Art Tempel befand; er bestand aus dicken dunklen Stämmen lebender Eiben, die in zwei Reihen in regelmäßigem Abstand gepflanzt worden waren wie Säulen, die das Dach einer mächtigen Kathedrale hätten tragen können. Das Alter dieser dunklen Pfeiler war nicht zu schätzen, aber sie mußten sehr alt sein. Ihre immergrünen Wipfel bildeten eine verflochtene Fläche, gleichsam ein Dach, das dichter hielt als eines aus Reet. Das eigenartige Baumgebäude warf einen undurchdringlichen Schatten, der inmitten des luftigen Geästs der Eichen ringsum, durch das Sonnenflecken fielen, noch unheimlicher wirkte. Er gemahnte Sir William an einen Friedhof, und bei dem Gedanken überlief es ihn kalt.
    »In der Quelle hier soll es einen Wassergeist geben«, sagte Sir Hubert und hob das Horn an die Lippen, um den Rest der Jagdgesellschaft herbeizurufen. »Irgendeine alte Nixe namens Hethra, die Wünsche erfüllt. Mit dem Wasser läßt sich übrigens ein hervorragendes Bier brauen.« Aus dem Wald hinter ihnen antworteten andere Jagdhörner und Hundegebell, und dann brachen die ersten Reiter aus dem Wald hervor und stürmten auf die sonderbare Lichtung.
    »Wo ist der alte Peter?«
    »Wir haben die Witterung verloren.«
    »Ausgerechnet hier muß sich das Tier verstecken«, sagte der Lord von Brokesford.
    »Neue Lappen, neue Lappen, trotz all meiner Ermahnungen«, stellte Sir Roger angewidert fest und umrundete den Felsen auf seinem kleinen Fuchs.
    »Was genau ist das?« fragte Sir William, dessen Neugier geweckt war.
    »Als sich die heilige Edburga hier ausgeruht hat, ist genau an der Stelle, wo ihr Kopf lag, diese Quelle entsprungen. Seht Ihr da drüben die Ruine einer Einsiedelei? Wenn Ihr die Steine näher betrachtet, erkennt Ihr noch eine Darstellung ihres Märtyrertodes.« Sir William machte jenseits der grünen Halle mit den beiden Säulenreihen eine Ansammlung quadratisch behauener Steine aus. Von einem blickte ihn das verwitterte Abbild eines Schädels an. Das hier ist keine Einsiedelei, dachte Sir William und holte tief Luft. Das ist etwas Uraltes; etwas Heidnisches. Er erschauerte und bekreuzigte sich. »Die Einsiedelei war dem gnadenreichen Haupt der heiligen Edburga geweiht, ist aber, wie Ihr seht, verfallen.«
    »Ja, das ist in der Tat zu sehen. Ein Jammer«, sagte Sir William.
    »Gebete zu Gott dem Allmächtigen und zur heiligen Edburga werden nur in der Kirche erhört, aber die Leute wollen nicht davon ablassen, hier einem albernen heidnischen Wasserteufel zu opfern, und verweigern der Heiligen ihre Kerzen. Bäurischer Aberglaube! Das führt zu nichts Gutem!« empörte sich der jagende Priester. Die Hunde beschnüffelten die Erde rings um die Quelle. Die Pferde mit ihren Reitern trabten durcheinander und warteten darauf, daß die Hunde erneut die Fährte des Hirsches aufnahmen.
    »Und um was bitten sie?« fragte der Besucher. Lady Petronilla auf ihrer grauen Stute hatte sich näher herangeschoben. Auch sie kannte kaum etwas von den einheimischen Sagen, denn die Ländereien ihres Vaters lagen im Süden des Landes, und sie nutzte jede nur mögliche Ausrede, um einen längeren Aufenthalt in Brokesford zu vermeiden.
    »Wünsche, eitle Wünsche. Der Felsen soll lebendig sein. Und was die Quelle angeht, so erfüllt ein böser Geist dort unheilige Wünsche. Vor allem kommen unfruchtbare Frauen hierher, selbst wenn ich ihnen mit der Exkommunikation drohe. Sie umrunden die Quelle dreimal in Richtung der Sonne und opfern etwas.« Petronilla beugte sich vor, weil sie besser in die

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