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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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trägst, du KANNST WEDER LESEN NOCH SCHREIBEN!« Dem kurzem Zweifel folgte die Verunglimpfung.
    »Du ja auch nicht, und der Herzog auch nicht. Darum schreibt Gilbert für ihn.« Hugo blickte selbstgefällig drein. Ich konnte spüren, wie sich der alte Mann aufblies wie ein Frosch: Der nächste Ausbruch stand bevor.
    »Das ist Stiefgroßvater«, hörte ich Alison Madame hinten auf der Diele erklären. »Nehmt Euch vor ihm in acht.« Die Mädchen hatten die Pferde gesehen, die im Stall eingestellt wurden, und kamen jetzt mit Madame, die wissen wollte, wer die Besucher waren.
    »Er hat unserem Stiefbruder den Kopf abgehackt. Genau hier«, sagte Cecily, und da wußte ich, daß sie Madame mit ihren Schauergeschichten einen Schreck einjagen wollte. »Er ist auf dem Fußboden herumgekullert und hat Blut gespritzt.«
    »Abgeschlagene Köpfe verspritzen kein Blut. Das spritzt aus dem Hals«, erwiderte Madame vollkommen gelassen auf französisch. »Und jetzt auf französisch bitte, und das höflich. Ladys beschreiben ritterliche Taten nicht mit Metzgerausdrücken.«
    »Wer oder was ist das?« fragte Sir Hubert, als er die schwarzgekleidete Fremde erblickte.
    »Das ist Madame de Hauvill. Erlaubt mir, Euch vorzustellen.«
    »Mich? Mich einem Dienstboten vorstellen?« Er blickte verächtlich. Madame schritt aufrecht und blaß geradewegs auf ihn zu und blickte ihm ins Auge. Die Mädchen sahen mit offenem Mund zu, wie die beiden zum Einzelkampf antraten. Wer würde gewinnen? Madame, die »so was von gemein« war, oder Stiefgroßvater, der noch gemeiner war? Selbst Hugo merkte auf. Madame reckte das Kinn, ihre Augen wurden schmal, und sie starrte Sir Hubert an, ohne mit der Wimper zu zucken. Darauf war dieser nicht gefaßt gewesen, er blinzelte als erster, sodann wurde er zornig. »Weib, was bildet Ihr Euch ein, wer Ihr seid?« sagte er, ein Ausbund an Bedrohlichkeit. Schließlich konnte er mit einer behandschuhten Faust noch immer einen Mann zu Boden schicken, und auf seinen eigenen Ländereien tat er das auch mit schöner Regelmäßigkeit. Madame andererseits sah so bleich und zerbrechlich aus, als könnte sie bersten wie Glas, wenn man sie berührte.
    »Ich bin Lady Agathe, Witwe von Sir Raymond de Hauvill und mit Sir William de Vilers durch seine Base Isabelle Payton verwandt«, sagte sie.
    »Und welchen Grades ist diese – Verwandtschaft?« fragte Sir Hubert in kaltem, hochfahrendem Ton.
    »So, daß sie Eure Flegelhaftigkeit keineswegs rechtfertigt«, sagte Madame mit Eiszapfenstimme.
    Während die Mädchen hingerissen lauschten, duellierten sich die beiden mit leiblichen Vettern und Basen, Verwandtschaft welchen Grades, dritten, vierten und so fort. Madame sprach eindringlich, aber leise. Wir staunten nicht schlecht, daß es Sir Hubert schier die Stimme verschlagen hatte, denn er flüsterte nur noch heiser, weil er sich ihrem leisen, gelassenen Französisch anpassen mußte. Die Stukkateure taten nicht einmal mehr, als arbeiteten sie, sondern standen stocksteif auf ihren Leitern und lauschten. Im Hintergrund blieben die Dienstboten, die Schüsseln zum Söller hochtrugen, auf der Treppe stehen und gafften. Das Geklapper in der Küche hörte auf. Gesichter drängten sich am Küchenschirm. Wer würde als erster nachgeben?
    »Nun gut, damit dürfte sich eine Vorstellung erübrigen. Madame, ich weiß, wer Ihr seid, das reicht.« Sir Hubert drehte sich um und klatschte in die Hände. »Essen! Wo bleibt mein Essen? Ich habe den langen Weg nicht gemacht, damit ich am Ende verhungere!« Die Diener liefen wieder. Düfte und Geräusche drangen wieder durch den Küchenschirm auf die Diele. Die Mädchen waren tief beeindruckt. Diesmal hatte Sir Hubert den Rückzug angetreten und sich als erster abgewandt. Als wollte er seinen öffentlichen Verlust an Ansehen wieder wettmachen, drehte er sich noch einmal um und blaffte mich an: »Margaret, da Ihr diese Diele unbenutzbar gemacht habt, wo wird jetzt für die Familie aufgedeckt?«
    »Im Söller, Herr Schwiegervater.«
    »Und das Weib da…«
    »Madame geht immer mit der Familie zu Tisch.«
    »Was ist nur über Euch gekommen, daß Ihr ein so widerwärtiges Geschöpf in Euren Haushalt aufgenommen habt?«
    »Herr Schwiegervater, sie unterweist meine Töchter in der Kunst der höfischen Manieren. Es war Sir Gilberts Idee.«
    »Gilbert! Ich hätte mir denken können, daß er irgendwie dahintersteckt. Oh, da bist du ja, Gilbert! Gerade war von dir die Rede. Was soll das Herumgelungere bei

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