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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Gabe angefertigt, eine Brotpuppe, die wir backen, bemalen und einwickeln. Und ein Huhn kriegt das Weiher-Wesen auch.«
    »Und warum reiten Mademoiselle Cecily und Alison auf der Färse mit?«
    »Oh, die müssen mitkommen. Seitdem die Hebamme tot ist, hat keiner mehr die Macht gehabt, den heiligen Aal herbeizurufen – bis sie gekommen sind. Wir haben schon gedacht, wir sind verloren ohne unsere Weiher-Priesterin.«
    »Den heiligen Aal?«
    »O ja. Der Weiher spricht durch den Aal und läßt uns wissen, daß unsere Bitten erfüllt werden. Ach, Mylady, Ihr wißt ja nicht, wie schlimm es im Dorf steht. Die Äpfel sind fast alle wurmstichig, der Roggen hat die Fäule, und jetzt ist in der benachbarten Grafschaft auch noch eine Viehseuche ausgebrochen, und vielleicht verlieren wir all unsere Tiere. Wie sollen wir pflügen, wenn alle Ochsen eingegangen sind, Mylady? Wir verhungern doch.«
    Mittlerweile schwante Madame Böses. Sie argwöhnte, daß sich die Mädchen einen üblen Scherz erlaubten, der über ihr Begriffsvermögen ging. Die Mädchen waren mit Old Brownie so oft verschwunden gewesen, immer mehr Knechte wollten die Mädchen begleiten und ›behüten‹, Alison wurde merkwürdigerweise immer rundlicher, weil ihr alte Frauen Honigkuchen zusteckten, wenn sie das Dorf aufsuchte – alles hatte jetzt eine Erklärung. Desgleichen das wunderschöne Paar Schuhe aus Fuchsleder, grün gefärbt und mit seltsamen Mustern bestickt, das man Cecily geschenkt hatte. Diese kleinen Teufel, dachte sie. Wie schamlos! Wie böse! Sie haben den armen, verzweifelten, irregeleiteten Menschen all die Sachen abgenötigt. Und die ganze Zeit über haben sie mit lammfrommer Miene an dem Altartuch gearbeitet! Die helle Wut verlieh Madame Kraft, sie erhob sich vom Grenzstein.
    »Zeig mir unverzüglich die Abkürzung«, sagte sie.
    Als der dunkle Eibentempel in Sicht kam, hatte die ›Abkürzung‹ ihren Tribut gefordert. Madames leichte Schühchen waren zerfetzt, ihre Füße wund und blutig. Ihr Gewand hatte sich verfangen und war an den fadenscheinigen Stellen gerissen, und ihr Kopftuch war mehrmals im Gezweig hängengeblieben. Das graue Haar fiel ihr wild ins Gesicht, und sie steckte auch die verbleibenden Nadeln nicht wieder hinein, sondern verstaute sie vorn in der Kotta und band sich das Kopftuch wie eine Bauersfrau unter dem Kinn zusammen, damit es nicht verlorenging. Hinsichtlich Schicklichkeit gab sie niemals klein bei. Und das hier, davon war sie überzeugt, war zutiefst unschicklich.
    Sie sah die seltsamen grauen Ruinen einer alten Eremitenklause aus Stein, und eine weiße Stute lief frei im Wald herum: Margarets kleine Stute, die sie aus London mitgebracht hatte, vollkommen schweißbedeckt und mit blutigen Flanken. Sonderbar, dachte Madame, denn sie hatte Lady Petronilla nicht fortreiten sehen. Und Margaret ritt nie mit Sporen. Sie fing das Pferd am Zügel ein, führte es zu einer versteckten, buschbestandenen Stelle und band es an einem Ast fest, der von einer uralten Eiche herunterhing.
    »Na«, flüsterte der Junge, als befänden sie sich in der Kirche, »hab' ich nicht gesagt, daß wir vor ihnen da sind?« Zusammen gingen sie zwischen den seltsamen Säulen des Eibentempels zum hinteren Ende des Weihers. Madame merkte sofort, daß es eine heidnische Stätte war, was man nicht gutheißen konnte. Aber weil sie nicht mehr ganz bei Kräften war, übten der eigenartige Baum-Tempel und die stetig glucksende Quelle ihren Zauber auf sie aus. Das also sind die Bäume, die der Sieur de Vilers nicht absägen lassen will, dachte sie. Sie sind furchtbar häßlich und sollten so schnell wie möglich verkauft werden, und dann sollte man hier etwas Erbaulicheres hinstellen. Doch während die rauschenden Blätter und das plätschernde Wasser ihre Sinne beruhigten, schien der starke Waldgeruch etwas in ihr zu wecken, was sie unterdrücken wollte. Zu ihren Füßen beschien die Sonne ein Büschel Wildgras neben den steinernen Ruinen, und aus einem Versteck unter Wildkräutern sah sie die zierlichen blauen Gesichter von Vergißmeinnicht hervorlugen. In der Ferne sang ein Vogel – endlose schluchzende Triller, die ihr zu Herzen gingen. Wie lange bin ich schon ohne Liebe, dachte sie. Pflicht, du bist ein kalter Bettgenosse.
    »Mylady, versteckt Euch«, wisperte der Junge und zupfte sie am Ärmel. Beide duckten sich hinter die Ruine.
    »Was ist?« flüsterte sie, und als sie zu dem eiförmigen Felsen hinüberblickte, merkte sie, daß auf der Lichtung

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