Die Zauberquelle
ganzes Haus voller Männer läßt sich von einer Irren an der Nase herumführen. Und während sie im goldenen Abendsonnenschein heimritt, überlegte Madame, was da zu tun war. Gleichzeitig freute sie sich an dem leichten, gleichmäßigen Tritt von Margarets kleiner Stute. Es war sehr, sehr lange her, daß Madame einen Zelter mit so schönem Gang geritten hatte, und sie genoß es in vollen Zügen.
Die langen Schatten des sinkenden Tages lagen schon über dem äußeren Burghof, als Lady Petronilla durch das Tor gestolpert kam. Madame war längst zurück, hatte ihre Geschichte erzählt, und Margarets Pferd stand im Stall. Pech für Petronilla, daß die erste, die ihr über den Weg lief, Margaret mit ihrer großen Schürze und einem Riesenschöpflöffel war. Hinter ihr gingen Sir Huberts Verwalter, ein Mann aus guter Familie, wenn auch von unehelicher Geburt, und mehrere Männer und Frauen, die gerade aus dem Malzhaus kamen. Lady Petronilla hatte sich den schwarzen Schleier um das Haar gebunden, aber sie konnte nicht verbergen, daß sie barfuß war und aus Schrammen an der Stirn und an den Armen flutete. Ihre Augen blickten wild, und ihr Atem kam stoßweise.
»Euer niederträchtiges Pferd hat mich abgeworfen«, fuhr sie Margaret an. »Man soll ihm auf der Stelle die Kehle durchschneiden. Es ist gefährlich. Hört Ihr? Ich befehle es! Sofort!« Margaret blickte sie gelassen und verächtlich an.
»Mein Pferd hat nicht nur Euch abgeworfen, sondern hat auch Euer Jagdkleid gegen das schwarze Ding da vertauscht, und obendrein hat es Euch noch die Stiefel gestohlen. Sehr schlau für ein Pferd. Hier befehle jetzt ich, und niemand rührt mein Pferd an, bis wir dem Burgherrn den Fall vorgetragen haben.«
»Wer ist hier die Herrin? Ich befehle Euch, sucht das streunende Pferd, bringt es zurück und tötet es!«
»Und ich sage, kein lebendes Wesen darf ohne Gerichtsverfahren verurteilt werden. Beim nächsten Gerichtstag auf der Burg soll sich Sir Hubert den Fall meiner Stute anhören.«
»Und ich zeige meine Wunden – meine Umstände«, rief Lady Petronilla.
»Meine liebe Frau Schwägerin, mit Verlaub, Eure ›Umstände‹ sind ins Rutschen geraten. Heute morgen trugt Ihr sie noch hoch, und heute nachmittag sitzen sie so tief wie im neunten Monat kurz vor der Entbindung. Es würde mich nicht wundern, wenn Eure Umstände diesmal ein Kissen sind.«
Lady Petronilla stieß einen gräßlichen Schrei aus, stürzte sich auf Margaret und mußte zum Befremden der am Tor zusammengelaufenen Menge zurückgehalten werden.
»Was ist los?« fragte jemand.
»Lady Margarets Pferd hat Lady Petronilla abgeworfen.«
»Abgeworfen? Wenn sie nun den Erben verliert?«
»Lady Margaret behauptet, der Erbe ist ein Kissen, und da ist Lady Petronilla über sie hergefallen.« Bei dem Gerangel rutschte Lady Petronilla der schwarze Schleier herunter, und, o Schande, jeder konnte ihr Haar sehen. Entsetzt und angewidert machte sich Margaret los, während die Irre ganz außer sich vor ihnen kauerte und die Augen verdrehte, daß man das Weiße sah.
»Tötet die weiße Stute, tötet die weiße Stute«, singsangte das schwarze Bündel.
»Mein Schätzchen, mein Kleines, sie ist krank«, rief ihre alte Kinderfrau, die beim Anblick der Menge am Tor aus dem Bergfried herbeigelaufen kam. Aber Madame hielt sie mit eisiger Miene zurück, so daß sie sich nicht durch das Gesinde zu ihrer Herrin schieben konnte.
»Und ich sage Euch«, sagte Dame Margaret, die würdevoll und aufrecht vor der Irren stand, »meine kleine Stute bekommt ein Gerichtsverfahren, und in diesem Gerichtsverfahren werde ich beweisen, daß Ihr sie ohne meine Erlaubnis genommen habt und ohne Begleitung ausgeritten seid, daß sie willig mitging, daß Ihr wohlbehalten abgestiegen seid und dann Dinge getrieben habt, die sich keine ehrbare Frau auch nur vorstellen kann. Mein Pferd steht im Stall…«
»Seht ihr? Es ist besessen! Es hat den Teufel im Leib, es hat mir meinen Sohn gestohlen!«
»Und ich habe das Messer in meinem Besitz, das Ihr bei Eurem gottlosen Ritual verloren habt.« Bei diesen Worten fuhr die alte Kinderfrau zurück, und Madame bedachte sie mit einem eisigen Blick.
»Bauern dürfen nicht gegen mich aussagen… Ich lasse sie foltern.«
»Wartet ab, wer gegen Euch aussagt«, sagte Margaret in der Hoffnung, das wirre Hirn zu erreichen.
»Wer ist hier die Herrin? Ich, ich herrsche hier, ich, ich«, sagte Lady Petronilla mit glitzernden Augen. Ihre Haut war fahl, fleckig und
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