Die Zauberquelle
jenseits des Weihers etwas geschah.
»Der Succubus. O Mylady, er ist zurückgekommen. Der vernichtet sie alle.« Die Gestalt am anderen Ende des Weihers wiegte sich und tanzte. Sie hatte das Gesicht mit einem schwarzen Schleier verdeckt, und sie trug einen schwarzen Surkot über einer schwarzen Kotta. Beim Tanzen wirbelte der Kleidersaum um ihre nackten weißen Füße. Magere weiße Arme reckten sich aus dem Gewirbel schwarzer Gewänder zum Himmel. Das Wesen bückte sich zum Wasser, und sie hörten es ton- und sinnlos singen. Der Junge bekreuzigte sich, aber Madame lächelte ein ungemein eigenartiges Lächeln. Als sich das Geschöpf am Wasserrand gedreht und gebückt hatte, war ihm der Schleier einen Augenblick vom Gesicht gerutscht, und Madame hatte es erkannt.
»Was tut der Succubus?« fragte sie, und der Junge staunte, wie gefaßt sie war.
»Schenkt Männern Lust, bis sie daran sterben«, sagte er.
»Ein ganzes Dorf dürfte er kaum zur gleichen Zeit schaffen«, sagte Madame mit frostiger Stimme.
»Aber Mylady, das ist ein teuflisches Wesen, geradewegs aus dem Reich der Hölle. Es hat den Weiher und unsere Ernten verhext. Das hat der Priester gesagt, ehe er, na ja, weggegangen ist.«
»Hmm«, sagte Madame, ganz in Gedanken. Das erklärt die Sporen. Was für ein hinterhältiger Trick, die Stute zu nehmen, wenn die Herrschaft aus dem Haus ist. Dieses Weib beneidet alle um alles. Und warum nicht ganz besonders Margaret? Margaret, die alles hat: Geld, Liebe, schöne Kinder und jedermanns Achtung. Zuweilen beneide selbst ich sie ein wenig. Was hat sie getan, daß sie soviel Gutes verdient? Ich weiß sehr wohl, daß sie einst arm gewesen ist und nicht aus guter Familie kommt wie ich… Madame gebot sich Einhalt. Neid, du häßliche Sünde, hinfort mit dir, betete sie stumm. Ihr Engel im Himmel, gebt mir Kraft. Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende, und ich habe geschworen, die Mädchen zu behüten. Sie blickte zu Boden, und da lag zu ihren Füßen hinter einem herabgefallenen Stein etwas Weißes. Neugierig zog sie es heran. Ein Leinenbeutel, in dem etwas steckte. Die Engel haben geantwortet, dachte sie. Ich behalte den Beutel einfach.
Von fernher war jetzt leiser Gesang zu hören, es knackte und krachte im Wald. Das schwarze Geschöpf am Wasser schien die ersten leisen Geräusche nicht wahrzunehmen. Der Junge fuhr entsetzt zurück, doch Madame lugte über die verfallene Mauer: Der bevorstehende Zusammenstoß fand ihr ungeteiltes Interesse. Als erstes hörte man einen Schrei: »Der Succubus!« Dann brachen ein paar große Burschen mit gezücktem Messer durch das Gebüsch. Die Gestalt in Schwarz erschrak und wandte sich zur Flucht. Ein kleiner Junge kam herbeigelaufen, warf mit einem Stein nach ihr und traf mitten auf den schwarzen Schleier, und da zuckte das schwarze Wesen mit einem Aufschrei zurück.
»Der Succubus ist sterblich, tötet ihn!« kreischte eine Frau.
»Tod dem Bringer der Braunfäule!«
»Erschlagt ihn, erschlagt ihn!« Das klang noch wütender.
»Beschützt die kleinen Ladys vor ihm!« schrien andere Stimmen. Leichtfüßige Jungen versuchten, dem Geschöpf den Fluchtweg abzuschneiden, und bewarfen es wieder mit Steinen. Es schützte den verschleierten Kopf mit den Armen und lief ihnen davon, aber als sie hinter ihm hersahen, bemerkten sie einen roten Fleck, der sich auf Weiß ausbreitete.
»Er blutet, er blutet!« Und während die kleinen Jungen ihm nachsetzten, bis er verschwunden war, führten die alten Bauersfrauen die weiße Färse zum Weiherrand.
Mein Gott, kann die Frau laufen, wenn es not tut, dachte Madame. Und obendrein in die falsche Richtung. Sie wird sich wegen des Pferdes und des Beutels kaum zurückwagen, solange so viele Menschen am Wasser sind. Madame sah sich um und merkte, daß sich ihr kleiner Führer auf die andere Weiherseite geschlagen hatte.
Cecily und Alison waren jetzt abgestiegen und sahen ziemlich verärgert aus, weil man ihnen ihr prächtiges Fest verdorben hatte. Aber dann kam einer der Jungen mit einem Messer zurück.
»Da, ihr kleinen Jungfern, ihr habt den bösen Geist verjagt. Er hat sein Messer fallen lassen, und es ist noch ganz rot vom Blut seiner Opfer. Ihr habt den bösen Zauberbann gebrochen.« Zwei Bauern nahmen ihm das Messer ab und reichten es den kleinen Mädchen mit einer tiefen Verbeugung, und die nahmen es mit so durchtriebener und selbstgefälliger Miene entgegen, daß Madame in ihrem Versteck auf der anderen Weiherseite in den Ruinen schier
Weitere Kostenlose Bücher