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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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hat Gilbert aber gut ausgeschmückt, dachte ich. Es muß mit ihm durchgegangen sein. Ich blickte zu ihm hinüber, wie er da etwas entfernt von der Menge mit verschränkten Armen und ungerührter Miene neben seinem Pferd stand und zusah, wie sich das Schauspiel entfaltete.
    »DAS HORN INGOLFS DES SACHSEN!« frohlockte Sir Hubert und hielt das Riesending in die Höhe. »Der mächtige Ingolf höchstpersönlich schenkt uns unsere Quelle!« Die Gaffer aus dem Dorf jubelten Beifall. Sir Hubert wiegte das Horn in der Armbeuge wie einen Säugling und streichelte es. Ich sah wieder zu Gilbert hinüber. Er sah verstört aus. Würde es seine Schuld sein, wenn der alte Mann den Verstand verlor? Ich spürte, wie er wellenförmig Gewissensbisse ausstrahlte, während er zusah, wie sein Vater das große Trinkhorn wiegte. »Jedes Jahr – o Gott, wie viele Jahre haben wir nicht mehr auf Euch getrunken, hochgeehrter Ahne. Ihr müßt einer Heldenrasse entstammen. Wer sonst könnte sein Ale aus einem so großen Horn trinken, ohne einmal abzusetzen?« Dann wandte er sich an Hugo. »Hugo! An diesem Datum will ich jedes Jahr auf Ingolf den Sachsen trinken, und von dir erwarte ich, daß du es nach meinem Tode genauso hältst!«
    »Pfui, Vater, ehrlich. Das Ding ist furchtbar dreckig. Wahrscheinlich ist es voller Ungeziefer.«
    »WIE KANNST DU ES WAGEN, DU UNDANKBARE BRUT! Das Blut des mächtigen Ingolf ist in deinen Adern wohl dünn geworden!« Die Augen des alten Mannes glühten, und er hob den Arm mit der ersten Waffe, die ihm in die Hand fiel – das Trinkhorn, das er bereits hielt.
    »Vater, Vater, nicht damit prügeln. Es ist alt, es könnte zerbrechen!« sagte Gilbert, gab seine Zurückhaltung auf und stürzte sich ins Schlachtgetümmel. O du kluger Malachi! Er hatte sie alle durchschaut. Nie im Leben hätten sie sich vor Zeugen so unverstellt benehmen können, wenn er nicht das Horn eingeschmuggelt hätte. Aber die Überraschung des Tages war Sir Hubert. In solch einer Stimmung hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein Bart, seine Brauen, alles schien vor Triumph zu zittern, als er sich vor der offenen Schatulle aufpflanzte.
    »Mein Ahn, ich spüre seine Gegenwart!« trompetete er. »Er steht neben mir, blutbedeckt und besiegt, aber dennoch ein Held! Der mächtige Vater und Begründer der de Vilers rettete ihm Leben und Land. Seine edle Tochter vererbte Heldenblut!« Sir Hubert blickte in weite Fernen. Wer hätte in seinem abstoßenden Leib eine mystische Ader vermutet? »Ich sehe ihn, ich sehe ihn!« rief Sir Hubert, und alle glaubten es. »Sein Bart ist weiß, die edle Stirn furcht eine große Narbe! Er trägt einen Helm, einen Helm mit einer grimmigen Eisenmaske, den hat er hochgeschoben! Seine Hand hält eine mächtige Streitaxt! Seine Stimme dröhnt wie Donner. Er sagt: ›GUT GEMACHT. Meine Eichen müssen bleiben.‹« War es möglich, daß sich das Plätschern und Brodeln hinter uns in der Mitte des Weihers wie Gelächter anhörte?
    Es war einfach unbeschreiblich. Bis auf das Sterbebett würde keiner, der das hier miterlebt hatte, den Rechtsanspruch der de Vilers auf die Quelle in Zweifel ziehen, den Gesetz, Überlieferung und die durch das Horn Ingolfs des Sachsen heraufbeschworenen Geister der Ahnen bestätigt hatten. Die Bauern jubelten, die Pilger blickten sich an, nickten und tuschelten, die Nachbarn verschränkten die Arme und triumphierten sichtlich. Nur der Advokat blickte mit dunkel umwölkter Stirn. Und der Abt… Nun ja, der Abt blickte undurchschaubar.

    Am nächsten Morgen warf Lady Petronilla von ihrem Brett her sehr erboste Blicke. Die Menge war sichtlich geschrumpft, und der Abt und die psalmodierenden Mönche waren auch nicht mehr zugegen. Ihre Dämonen kuschten nach dem kühlen Bad, das sie erdulden mußten, und hatten sich obendrein eine böse Erkältung zugezogen. Alles sang das Lob Ingolfs des Sachsen und erörterte den Inhalt der wundersamen Schatulle und wer vor Gericht Zeugnis für ihre Entdeckung ablegen würde und wie zornig der Advokat dreingeschaut hätte und so weiter und so fort. Ob in Lady Petronilla nun zwei, sechs oder weitere hundert Teufel hausten, interessierte offenbar nur noch sehr wenige, außer natürlich den Kanoniker, der wild entschlossen war, die Sache zu Ende zu bringen.
    »Hatschi! Ich spreche mit der mächtigen Stimme der Hölle…« Klingeling machte das Silberglöckchen.
    »Hebe dich hinfort, unsauberer Geist!«
    »Wollt Ihr mich – schnief, schnief – nicht fragen, welcher ich

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