Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
Seele lauerten Eiskristalle, die keine Hitze der Welt zu schmelzen vermochte, und hier draußen herrschte das schönste Wetter.
»Seine Majestät wird von der Burgheilerin im kleinen Saal zur Bestattungszeremonie vorbereitet.«
»Gut, hebt jemand das Grab aus? Und was ist mit den toten Soldaten?«
»Ich habe zwei Knechte hinaus auf den Platz der Könige geschickt, damit sie alles für den Beerdigungsritus vorbereiten. Die Soldaten wurden im Aufenthaltsraum aufgebahrt. Wir übergeben ihre Körper morgen dem Dunklen Gott.«
»In Ordnung. Gut gemacht, Hauptmann.« Aran wandte sich ab.
»Herr? Wer wird bei seiner Majestät die Totenwache abhalten?«
Aran fiel es schwer, sich keine Gefühle anmerken zu lassen. An ihrem letzten gemeinsamen Abend hatte Ranon ihn gefragt, ob er diese Aufgabe bei ihm übernehmen würde. Er hatte seltsam ernst gewirkt, so als ahnte er, dass er bald einen Totenwächter benötigte. Aran hatte dem keinerlei Bedeutung beigemessen. Ein Umstand, für den er sich nun verfluchte.
»Ich oder die Drachentochter«, stieß Aran hervor. Er ließ Qristin stehen und kehrte zu Juliane zurück.
Dich verlieren war sehr schwer, dich vermissen noch viel mehr.
Kapitel 7
Totenwache
J uliane rieb sich über die Arme und versuchte, die Kälte zu vertreiben, die in ihre Knochen kriechen wollte. Dankbar zog sie die Decke um ihre Schultern, in die Aran sie hüllte.
Im Kamin brannte kein Feuer, und da es draußen bereits dämmerte, herrschte im kleinen Saal trotz der Kerzen, die auf etlichen Leuchtern im Raum verteilt waren, graue Düsternis.
»Soll ich die Fackeln anzünden?«, fragte Aran leise.
Sie schüttelte den Kopf. »Wie lange werden wir bleiben?«
»Bis zum Sonnenaufgang.«
Ihr war unwohl zumute. Dass Aran ebenso empfand, erleichterte ihr die Sache nicht. Zu wissen, dass ein Freund tot war, war das eine. Ihn so zu sehen und eine ganze Nacht bei seinem Leichnam zu verbringen, eine ganz andere.
Aran trat an die Trage und betrachtete Ranon.
»Er sieht aus, als würde er schlafen.«
Juliane schluckte.
»Ich liebe … habe ihn geliebt wie einen Bruder.« Wieder stiegen die Tränen in ihr auf. »Er war der erste Mensch in Goryydon, der mir geholfen hat.« Sie schniefte.
»Willst du dich nicht von ihm verabschieden?«
»Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Ihr Hals fühlte sich an, wie von festen Händen umklammert. Sie schluckte mit Mühe und glaubte, ihr Kopf müsse platzen vor Trauer und Tränen und Sehnsucht. Dennoch trat sie näher.
»Solange ich nicht sehe, dass er tot ist, lebt er noch.«
Aran nahm ihre Hand. Wärme und Kraft durchströmten sie.
»Komm her, sieh ihn dir an. Er ist tot.« Seine Stimme klang belegt.
Sie schloss ihre Augen. Sie wollte sich weigern, die Wahrheit zu erkennen. Zu sehen, dass alle recht hatten, dass Ranon tot war, sein Körper nur mehr eine leere Hülle. Heiße Tränen stiegen in ihre Augen.
»Bitte, sieh ihn dir an. Ich habe meine Schwester nicht sterben sehen und hoffte, sie hätte überlebt.« Er küsste sie sanft auf die Stirn. »Hoffnung ist etwas Grausames.«
Juliane blickte Ranon an.
Selina hatte ihn gewaschen und neu angekleidet. Das blaue Hemd hätte wunderbar mit seinen Augen harmoniert. Wenn man von den feinen Fältchen um Augen und Mund absah, wirkte er genauso wie bei ihrer letzten Begegnung.
»Du wirst mir fehlen, Ranon von Pernon. Ich wünschte, wir hätten uns richtig Lebewohl sagen können.« Juliane wischte ihre Tränen fort.
Die Kerzen flackerten unruhig. Warmer Wind streifte ihr Gesicht, obwohl es keine offene Tür oder Fenster gab, die einen Luftzug hätten verursachen können.
Und doch schien es ihr, als hätte jemand den Raum betreten. Der Eindruck verstärkte sich. Sie glaubte, einen vertrauten Menschen zu fühlen. Wohlige Wärme kroch ihre Wirbelsäule empor. Ein Duft stieg ihr in die Nase. Sie schnupperte und blickte neben sich. Sie konnte nichts sehen, doch sie meinte, Ranons Anwesenheit zu spüren.
»Ranon?«, flüsterte sie atemlos.
»Was ist los?« Aran klang besorgt. »Du wirkst plötzlich so blass.«
Die Wärme glitt hinunter zu ihrer Hand. In ihrem Kopf erklang eine Stimme, wie von jemandem, der aus weiter Entfernung zu ihr sprechen wollte. Sie lauschte angestrengt, verstand aber nichts.
Sie wandte sich dem Geräusch zu. Die Luft flimmerte. Sie blinzelte. Das Flimmern wollte eine Form annehmen.
»Juliane?«
Der Bann brach, das Funkeln fiel in sich zusammen und alle Sinneseindrücke
Weitere Kostenlose Bücher