Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
gewohntes Make-up kam sie Juliane jung und verletzlich vor. Sie fragte sich, ob sie in diesem Alter ebenso auf andere gewirkt hatte.
»Vor knapp sechs Jahren, ich kam im Herbst an und bin ein Jahr später im Winter zurückgekehrt.«
»Was?« Michaela wirkte völlig perplex. »Das kann nicht wahr sein! Du bist niemals so lange fort gewesen.«
Juliane knetete ihre Hände. »Magie macht es möglich. Als ich in unsere Welt zurückkehrte, war kaum Zeit vergangen. Kein Mensch hatte gemerkt, dass ich fort gewesen war.«
Michaela runzelte die Stirn. »Also gut, wenn wir davon ausgehen, dass es sich so abgespielt hat, was ist damals geschehen? Ich möchte die ganze Geschichte hören. Nicht die Kurzfassung!«
Seufzend lehnte sich Juliane zurück. Wenn Michaela eine ausführliche Erzählung forderte, würde es ein sehr anstrengender Vormittag werden.
Juliane befand sich auf dem Weg zu ihren und Arans Gemächern. Ihr Schädel brummte nach dem verhörähnlichen Gespräch mit ihrer jüngeren Schwester. Sie wollte sich ein paar Minuten ausstrecken und entspannen.
Sie stieg zu den Schlafgemächern hinauf. Als Selina sie rief, drehte sie sich unwillig um. Sie ahnte, dass es keine Gelegenheit mehr gab, sich in nächster Zeit auszuruhen.
»Die ersten Heilkundigen sind angekommen, wollt Ihr mit ihnen reden?«, erkundigte sich Selina.
Sie zögerte. »Wo ist der General?«
»Ich war gerade auf dem Weg zu ihm«, erklärte die Burgheilerin und strich sich eine braune Locke aus der Stirn.
»Gut, geh zu Ihrer Majestät zurück, ich hole General Aran. Wir werden die Gäste begrüßen.«
Sie setzte ihren Weg fort, während Selina in der anderen Richtung verschwand. Juliane freute sich auf Arans Gesellschaft. Michaelas Fragerei hatte sie erschöpft. Mit den Erzählungen waren noch einmal all die unangenehmen Erinnerungen aufgelebt, und der Schmerz der Gegenwart hatte die schönen Erlebnisse in dunkle Schatten gehüllt.
Sie rieb sich die Schläfe und stoppte vor der angelehnten Zimmertür. Eine Frauenstimme flüsterte. Juliane linste durch den Spalt und erkannte Caryll und Aran, ihre Köpfe vertraulich beieinander. Seine Hände hielten Carylls.
Die Landadlige trug ein langes, blaues Kleid, das sie fragil und weiblich wirken ließ, dazu die goldblonden Locken, die ihr Gesicht umrahmten. Der kalte Stich der Eifersucht durchzuckte Julianes Herz. Auf Carylls Wangen glitzerten Tränen.
Er legte seine Hände auf ihre Schultern.
Caryll hob ihre Arme, umschlang ihn und küsste ihn.
Juliane fühlte sein tiefes Bedauern. Ihr Herz wurde schwer und ein Kloß drängte sich in ihre Kehle. Sie presste ihre Faust gegen die Lippen. Sie kämpfte um Fassung und Kontrolle über ihre Gedanken, um sich vor Aran nicht zu verraten. Dann wandte sie sich ab und lief den Gang hinunter.
*
Caryll presste sich an ihn. Er spürte jede Kurve ihres zerbrechlichen Körpers. Aran schluckte. Er erinnerte sich daran, wie sich ihre Haut anfühlte. Wie sie roch und schmeckte. Er hätte das alles am liebsten vergessen. Und es weckte Schuldgefühle in ihm. Gewissensbisse, weil ihm Caryll nicht dasselbe bedeutete wie er ihr. Er verspürte Bedauern darüber, dass Caryll nicht verstehen wollte, dass sie niemals mit Juliane konkurrieren konnte.
Aran schob sie von sich. Nur widerstrebend ließ sie es zu.
»Caryll.« Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. »Caryll, deine Gefühle ehren dich, aber ich liebe Juliane. Du bist eine Freundin, eine gute Freundin, aber nicht mehr.« Er schwieg einen Moment, sah in ihre feuchten Augen und auf die feinen Tröpfchen, die auf ihren Wimpern glitzerten.
Caryll wischte sich die Tränen fort. »Aber ich dachte …« Sie stockte. »Die Nacht letzten Sommer, ich hatte gehofft, du würdest ähnlich für mich empfinden.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft. »Wir waren beide einsam. Du hast Korr vermisst und ich Juliane. Es hätte nicht passieren dürfen und ich habe mich dafür entschuldigt.«
Sie stieß seine Hand beiseite. Die Trauer in ihren Zügen machte der Wut Platz.
»Ich hoffe, du erinnerst dich an mich, wenn deine Juliane wieder weg ist. Aber ich, ich werde hier sein.« Damit drehte sie sich um und rauschte aus dem Zimmer.
Aran zuckte beim Geräusch der zuknallenden Tür zusammen. Er verspürte Skrupel. Einen Moment starrte er bewegungslos auf das Holz, dann fuhr er sich seufzend durch die Haare.
Ein Tumult erregte seine Aufmerksamkeit. Er trat ans offene Fenster und blickte in den Hof
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