Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
bedeutete das? Er meinte doch nicht etwa, dass er mit Juliane gepoppt hatte? Sie sortierte ihre Gedanken. Sie befand sich seit ein paar Tagen hier. Sie kannte ihre ältere Schwester, die sich sogar konservativer als ihre Mutter erwies. Sie fühlte einen völlig ungewohnten Beschützerinstinkt in sich aufflammen. Sie suchte eine angemessene Formulierung, bemüht um Gewissheit. »Du meinst, ihr seid ein Liebespaar?« Sie ließ sich nicht anmerken, wie es in ihr brodelte.
Als Aran nickte, vergaß sie jegliche Zurückhaltung und stürzte sich mit einem zornigen Aufschrei, um den sie bestimmt jede Amazone beneidet hätte, auf ihn.
Sie kannte Juliane. Ihre ältere Schwester würde nie, niemals mit einem Kerl ins Bett steigen, den sie gerade erst kennengelernt hat. Er musste ihr Gewalt angetan haben.
Aran wich Michaelas Schlägen aus und packte sie an den Oberarmen. Der Zorn verlieh ihr Bärenkräfte. Sie sprang ihn an und er pflückte sie von sich, als wäre sie nicht mehr als ein kleines Mädchen. Wütend versuchte sie, sich zu befreien, wand sich gegen seinen Griff und trat mit den Füßen nach ihm.
Ku’guar stand mit einem Mal neben ihr und Aran.
»Was hast du ihr angetan? Sie würde nie mit einem Wildfremden ins Bett gehen.«, tobte Michaela.
Die beiden hielten sie fest, dass kaum noch eine Gegenwehr möglich war. Ihr Atem ging stoßweise und ihr Herz raste.
Ku’guars Hand packte sie an der Schulter. »Beruhige dich und lass ihn zu Wort kommen«, schlug er vor.
Widerwillig stellte sie ihre Attacke ein und befreite sich aus Arans Griff. Sie wich ein paar Schritte zurück.
In seinem Blick lag Respekt, als er sie ansah. Er deutete stumm auf ein Gemälde an der Wand.
Sie ging zu dem Bild. Es stellte ein Mädchen in einem silbernen Brustharnisch dar. Das lange, dunkelblonde Haar umrahmte ein schmales Gesicht, in dem hellblaue Augen dominierten.
Michaela kratzte sich am Kopf. Das konnte unmöglich Juliane sein, vor allem, weil es eine etwa fünfzehnjährige Juliane darzustellen schien. Ihre Schwester war niemals hier gewesen. Doch die Ähnlichkeit erwies sich als verblüffend. Als sie das Bildnis eingehend betrachtete, erkannte sie eine kleine Narbe, die das Konterfei ebenso wie die echte Juliane zierte. Sie schluckte. Konnte es wahr sein, was ihr das Bild vorgaukelte? »Wer ist das?« Sie drehte sich um.
»Das ist deine Schwester, als sie das letzte Mal in Goryydon weilte«, gab Aran zur Antwort.
»Sie war nie hier! Das hätte sie mir erzählt.«
»Glaub mir, sie war hier. Sie wurde hierher geführt, um die Herrschaft eines Tyrannen zu beenden.«
Michaela lachte. »Juliane? Niemals!«
Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht redest du mit ihr, wenn sie aufgewacht ist.«
»Gut, ich will zu ihr. Jetzt gleich.«
Aran verschränkte seine Arme. »Nein, ich lasse nicht zu, dass du sie aufweckst. Sie hat für diesen Tag genug ertragen.«
»Michaela wird warten.« Ku’guar legte seinen Arm um sie.
»Aber …«
Ku’guar grub seine Finger in ihr Fleisch. Der Schmerz brachte sie zum Verstummen. Erbost sah sie ihn an. Doch Ku’guar beachtete sie nicht. Stattdessen musterte er Aran.
Dieser schenkte Ku’guar erst jetzt seine ungeteilte Aufmerksamkeit und nickte. »Ich lasse euch in eure Gemächer bringen.«
*
Die Tür hatte sich kaum hinter Michaela und Ku’guar geschlossen, als es klopfte. Aran seufzte und rief den Störenfried herein.
Ein Diener verbeugte sich vor ihm. »Hauptmann Qristin ist zurückgekehrt, Herr.«
»Ist er allein?«
»Nein, Herr. Er und seine Männer brachten die Leichen der Soldaten und des Königs.« Schatten der Trauer flogen über das Gesicht des Mannes.
Mit einer Geste schickte Aran ihn fort. Er schloss die Augen und zwang sich zur Ruhe. Ranon war also tot. Es lag keine sieben Sonnenläufe zurück, dass Aran und er bei einem Krug Wein miteinander geredet und gelacht hatten. Nachdem Aran gelernt hatte, anderen Menschen zu trauen und Gefühle zuzulassen, war der Ältere mehr für ihn als nur sein König oder Kamerad geworden. Sie hatte eine tiefe Freundschaft verbunden. Aran legte die Maske äußerer Gelassenheit an und öffnete langsam die Tür. Er wollte Ranon lieber so in Erinnerung behalten, wie er ihn zu Lebzeiten gekannt hatte. Unbeschwert und zugleich der treuste Freund, den ein Mann haben konnte.
»General.« Qristin salutierte.
Aran nickte dem Hauptmann zu. »Wo sind die Leichen?«
Die Sonne schien und die Vögel zwitscherten. Es wirkte falsch. In seiner
Weitere Kostenlose Bücher