Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
federte unter Julianes Füßen. Für eine Frau von so hohem Ansehen erwies sich das Zimmer als erstaunlich schlicht. Ein einfaches Bett mit einer blumenbestickten Tagesdecke. Eine Weidentruhe, in der sie wohl ihre Kleider und andere Habseligkeiten aufbewahrte.
Ihr Blick fiel auf das farbenfrohe Gemälde an der Wand. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und Schreck.
Es stellte eine Waldlichtung dar. Rundherum standen Nadelbäume; Büsche, riesige Laubbäume und Farne bildeten einen bunten Wechsel. Am Fuß der Bäume wuchsen Pilze. In der Mitte der Lichtung, zwischen hohem Gras lag ein vertraut wirkendes Mädchen. Eins der Beine war angewinkelt, der rechte Arm ausgestreckt. Das Mädchen trug eine schwarze Jacke, schwarze Hosen und schwarze Stiefel.
»Das bin ich«, murmelte Juliane fassungslos.
Das Bild zeigte den Tag und den Ort, an dem sie das erste Mal in Goryydon erwacht war. Damals war sie auf einer Lichtung in den Elfenwäldern zu sich gekommen. Niemand hatte gewusst, wie es dort ausgesehen hatte. Niemand, außer Ranon, hatte ihre Kleidung gesehen.
Sie entdeckte eine weiße Gestalt am Rand des Gemäldes. Warum war ihr dies nicht gleich aufgefallen? Sie wagte sich näher heran. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie schluckte, als sie die Gestalt erkannte.
»Moira.«
Erinnerungen überfluteten Juliane.
Du kümmerst dich um Aran und die anderen, ja?, hatte sie Moira gebeten . Diese hatte genickt und sich über ihr Ohr gebeugt.
Wenn ihr meiner Hilfe bedürft, ich aber nicht mehr unter den Goryydonern weile, komme zum magischen Kreis in den Elfenwäldern.
Mit einer Handbewegung hatte sich Moira aufgerichtet. Vergiss es, bis es Zeit ist, sich zu erinnern. Bereits im selben Moment war Juliane dieser Erinnerungen beraubt gewesen .
»Der magische Kreis«, wisperte sie.
Sie zuckte erschrocken zusammen, als Aran in den Schlafraum stürmte. Er umarmte sie fest.
»Was ist los?«, flüsterte er, sein Gesicht in ihr Haar gedrückt. Eine kurze Weile verhielt sich Juliane reglos, genoss die Wärme und Stärke, sog seinen Geruch in sich auf und aalte sich in dem Wissen, geliebt zu werden und vollkommen zu sein durch Aran. Dann straffte sie sich und schob ihn von sich.
»Ich weiß, wo wir Moira finden.« Sie deutete auf das Gemälde.
Er betrachtete es aus der Nähe. »Das bist du, oder?«
»An dieser Stelle bin ich in Goryydon erwacht. Dort werden wir Moira treffen. Sie hat es mir gesagt und mir dann die Erinnerung daran genommen.«
Sie verließen den Raum. Juliane warf einen letzten Blick auf das Gemälde. Es schien, als zwinkerte ihr Moiras Ebenbild zu.
Mit einem Ziel vor Augen findet man den Weg leichter.
Yaro, Rebellenführer der Freien Männer Khkiras
Kapitel 10
Aufbruch
M ichaela ließ sich auf den Stuhl fallen. Juliane und Aran hatten ihr und Ku’guar ausrichten lassen, sich sofort in der Bibliothek einzufinden. Natürlich waren die beiden noch nicht da. Michaela schnaubte. Sie konnte sich vorstellen, was die zwei aufhielt.
Warum wollten die beiden sie sehen? Gab es für sie einen Weg zurück nach Hause? Sie hatte langsam genug vom Burgleben und fühlte sich inzwischen so weit, sich Dame Caryll und ihren Gänsen anzuschließen, um ein bisschen Abwechslung zu erhalten. Noch besser wäre es, wenn sie endlich diese Gemäuer verlassen und die Umgebung erkunden dürfte. Sie schüttelte unzufrieden den Kopf. Sie sollte einfach ein Pferd nehmen und losreiten. Der Gedanke schien ihr verlockend. Sie hatte mit Juliane Reitunterricht gehabt. Michaela tat es zwar nicht gern, aber hier zu reiten wäre eine Abwechslung. Sie seufzte.
Ku’guar musterte sie nachdenklich.
»Was ist los?«
»Du gerätst schnell aus der Fassung.«
Michaela schüttelte abwehrend den Kopf. »Tue ich nicht, ich bin nur ein wenig ungeduldig.«
Die Tür öffnete sich.
»Wartet ihr schon lange?«, erkundigte sich Juliane beim Eintreten. Hinter ihr tauchte Aran auf.
»Andere hätten in der Zeit ein Kind gekriegt.« Michaela stand auf. Der Stuhl war unbequem. Sie ließ sich in den Sessel plumpsen und verschränkte die Arme. »Also, was gibt es so Wichtiges, das es nicht Zeit bis zum Essen hatte?«
Aran blieb an der Tür stehen, Juliane nahm am Tisch gegenüber von Ku’guar Platz.
»Wir werden für ein paar Wochen die Burg verlassen müssen«, begann er ohne Umschweife.
Michaela setzte sich aufrecht hin. Vorfreude durchzuckte sie. »Klasse! Ich wollte mir sowieso die Umgebung angucken. Wo werden wir
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