Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Glück musste ich nicht jedes Mal einen Parkplatz für meinen Porsche suchen und die Parkuhr füttern, sonst wäre ich nach dem vierten garantiert Amok gelaufen.
Ich kam also eine halbe Stunde zu spät ins Restaurant, und von Alice keine Spur. Nach etwa zwanzig Minuten, ich war schon ziemlich genervt, betrat eine junge Frau das Lokal, sprach kurz mit der Kellnerin und wurde an einen Tisch in der gegenüberliegenden Ecke geführt. Daraus schloss ich, dass es sich nicht um Alice handeln konnte. Es vergingen weitere zwanzig Minuten, in denen die junge Frau drei ganze Brotkörbe leerte und mir allmählich klar wurde, dass sie wohl doch Alice Oppenheim sein musste. Ich ging also zu ihr rüber, und es stellte sich heraus, dass diese Dumpfbacke nach Alex Firestein gefragt hatte, als würde ich den Mädchennamen meiner Mutter tragen! Sie fand das auch noch furchtbar komisch. Nicht besonders helle, die Gute. Dafür sieht sie super aus. Klasse Figur. Kleidergröße vierunddreißig, würde ich sagen. Sie trägt eine Jogginghose von Juicy Couture, dazu ein ärmelloses Top und ein kurzes Garnjäckchen, vermutlich von DKNY. Alles schneeweiß. Ich habe schwarze Leggings an, dazu einen karierten Minirock von Alexander McQueen, ein schwarzes langärmliges Top und schwarze Stiefel von Robert Clergerie. Wir sind wie Yin und Yang, und zwar nicht nur optisch, sondern auch charaktermäßig, fürchte ich.
»Hör mal«, sagt sie und ergreift meine Hand. »Ich weiß, du fürchtest dich davor, auf eine andere Ebene zu kommen, aber das musst du nicht. Es ist immer noch der Himmel. Klar, der materielle Luxus hier hat was für sich, aber man hat auf jeder Ebene das Gefühl, geliebt zu werden und etwas geleistet zu haben, und das macht den Himmel doch schließlich aus«, erklärt sie theatralisch gestikulierend, als würde sie mich in irgendeine mystische Weisheit einweihen.
»Ich habe einfach das Gefühl, bestraft zu werden«, schluchze ich. »Nur, wofür? Was habe ich denn so Schlimmes angestellt?«
»Warum gehst du eigentlich davon aus, dass du den Test nicht bestehen wirst? Meine Güte, sei doch nicht derart pessimistisch.« Sie schnappt sich ein Pommes von meinem Teller. »Ich erlebe das nicht zum ersten Mal. Ich war jahrelang als Schutzengel tätig, musst du wissen.«
»Und, hat dein Schutzbefohlener den Test bestanden?«
»Oh, nein, er lebt noch, besser gesagt, sie. Ich wollte sagen, ich kannte jemanden, der den Test machen musste und ihn nicht bestanden hat und in den vierten Himmel musste. Dafür hört er jetzt den lieben langen Tag dufte Musik.«
Dieses Mädchen ist mir keine große Hilfe.
»Und warum warst du ein Schutzengel?«
»Naja, als ich in den Himmel kam, kannte ich hier niemanden. Ich war ja erst sechzehn. Meine Ur-Ur-Großeltern waren hier, aber die sind so gar nicht auf meiner Wellenlänge. Ich war eine Zeit lang traurig darüber, dass ich so früh sterben musste. Ich war nie verheiratet, ich hatte keine Kinder, ich hatte mich noch nicht einmal verliebt. Ich wollte all diese Erfahrungen irgendwie nachholen, also habe ich mich 1960 um einen Posten auf der Erde beworben. Hat Spaß gemacht. Sheila, meine Schutzbefohlene, kam aus Chicago. Wir haben ganz schön auf die Pauke gehauen. Daher kenne ich auch die ganzen Rockstars.«
»Was ist mit ihr passiert?«
»Mit Sheila? Ach, der geht es blendend. Sie schloss sich in den 70ern der Frauenbewegung an, und dann verliebte sie sich in ihren zukünftigen Mann und zog mit ihm nach Dallas. Sie hat inzwischen drei Kinder und sogar ein Enkelkind, wenn mich nicht alles täuscht. Ich habe meinen Schutzengeljob an den Nagel gehängt, als ich fünfundzwanzig wurde, weil meine Mutter gestorben war und ich bei ihr sein wollte. Seither hat Sheila einen neuen Schutzengel. Und vor ein paar Jahren ist mein Bruder Butch gestorben, also ist inzwischen fast meine ganze Familie wieder vereint. Aber ich durfte miterleben, wie Sheila sich verliebt und ein Kind bekommen hat. Das war wunderschön. Auf diese Weise habe ich wenigstens einen Eindruck bekommen, wie mein Leben hätte verlaufen können. Hat sich echt gelohnt.«
»Du bereust es also nicht, dass du so jung gestorben bist?«, will ich wissen.
Sie überlegt, dann beugt sie sich über den Tisch, sieht mir in die Augen und flüstert: »Weißt du, was mich echt ärgert? Dass ich die Frauenbewegung nicht mehr miterleben konnte. Es war echt erstaunlich, was sich diese Mädels erkämpft haben, Gleichberechtigung und so weiter. Zu meiner Zeit
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