Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Anstatt Rosen und Parfüm und Konzertkarten zu schicken, griff er zum Telefon und bat meinen Vater, mit mir ausgehen zu dürfen.
Dad überschlug sich förmlich vor Begeisterung.
»Charles Kitteredge!«, rief er. »Ich habe keine Ahnung, was er an dir findet, aber du wirst gefälligst mit ihm ausgehen, so viel steht fest.«
Das setzte meiner Leidenschaft für Charles ein abruptes Ende, wie Sie sich vorstellen können. Es war echt typisch, dass sich mein Schwarm aus der Salatbar als Anwalt meines Vaters entpuppte. Da gab es so viele Männer in Philadelphia, und ich musste mich ausgerechnet in einen verlieben, der für den mächtigen Bill Dorenfield tätig war.
Meine Verknalltheit verpuffte mit einem Knall.
Charles dagegen war Feuer und Flamme; wohl, weil ich so abweisend reagiert hatte. Man kennt das ja. Doch so sehr ich herumdruckste und behauptete, er sei nicht mein Typ, mein Dad blieb hart. Also ließ ich mich in die nobelsten Restaurants der Stadt zum Essen ausführen (Charles bekam überall anstandslos einen Tisch, auch ohne Reservierung). Wir gingen zu den Premieren sämtlicher Broadway Shows in New York. Als mich Charles jedoch eines Tages auf eine zweiwöchige Reise nach Venedig und Rom mitnehmen wollte, sagte ich, das sei ausgeschlossen, ich sei in der Firma unabkömmlich.
»Vergiss die Arbeit«, sagte Dad. »Wenn du mit Charles Kitteredge in Urlaub fährst, ist mir egal, was mit der Post passiert.«
Ich muss zugeben, ich war hin- und hergerissen. Es gibt weiß Gott amüsantere Aktivitäten als Briefe zu sortieren, und mal ganz unter uns, welche Frau fände die Vorstellung von einem Trip nach Italien in Begleitung eines gut aussehenden Mannes nicht verlockend? Andererseits hatte ich den Eindruck, als wäre ich im Begriff, mich allmählich zu rehabilitieren und in der Achtung meines Vaters wieder ein klein wenig zu steigen, indem ich jeden Tag zur Arbeit ging, und das freute mich. Außerdem fand ich es schön, dass mich jeder in der Firma kannte und grüßte. Ich weiß, ich war nicht viel mehr als ein unbedeutender Laufbursche, aber ich hatte das Gefühl, meinen Platz im Leben gefunden zu haben. Doch dann malte ich mir aus, wie enttäuscht wohl mein Vater wäre, falls ich Charles’ Angebot ausschlug. Kein Zweifel: Wenn ich mir Dads Respekt verdienen wollte, musste ich mit Charles Kitteredge verreisen. Also willigte ich ein.
Nach der Italienreise mietete der Kitteredge-Clan eine ganze Insel vor der Küste von Tahiti. Wieder erklärte ich Charles, ich müsste arbeiten, und wieder winkte Dad ab.
»Alex, ich habe nicht den Eindruck, dass deine Zukunft in der Poststelle meiner Firma liegt. Halte dich an Charles. Wir wissen doch alle, dass du nicht in der Lage bist, für dich selbst zu sorgen. Überlass das lieber ihm.« Seine Worte kränkten mich zwar ein wenig, aber damit war ich endgültig überzeugt. Und mal ganz im Ernst, welcher vernünftige Mensch zieht es vor, Briefe zu sortieren, wenn er stattdessen auf einer pazifischen Insel in der Sonne liegen kann?
Außerdem ist Charles ein sehr angenehmer Zeitgenosse, genau wie der Rest seiner Familie, obwohl seine Leutchen der Inbegriff des weißen amerikanischen Bürgertums sind: angelsächsisch, protestantisch und lauter leidenschaftliche Trinker. Als wir auf Tahiti waren, verließen sie täglich Schlag fünf im Laufschritt den Strand, um sich rechtzeitig für ihre abendlichen Cocktails in Schale zu werfen. Ich möchte wetten, jeder einzelne Kitteredge ist in der Lage, das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis zu absolvieren, ohne bei Geschwindigkeiten von zweihundertdreißig Kilometern in der Stunde mit einem anderen Boliden zu kollidieren.
Ich will in Bezug auf Charles nicht allzu sehr ins Detail gehen – ich schätze, die Tatsache, dass er Charles genannt wurde und nicht Charlie oder Chuck sagt wohl schon alles. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass er auch nur ein Mal gemein zu mir gewesen wäre oder mich – Gott bewahre – misshandelt hätte. Im Gegenteil. Einen liebenswürdigeren Menschen hat die Welt selten gesehen. Aber es war mir ein Rätsel, was er, das Arbeitstier, der gediegene weiße angelsächsische Protestant, an einer verwöhnten jüdischen Prinzessin fand, die eine Suite im Plaza verwüstet hatte.
»Na, du bist süß«, sagte er, als ich ihn danach befragte, und küsste mich auf die Wange. »Und außerdem geben wir eine großartige Kombination ab.«
Was er damit meinte, danach fragte ich nicht. Sollte das heißen, dass wir ein
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