Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Hochflorteppich. Ich knie mich neben sie und streichle ihr den Rücken. »Ich bin doch bei dir«, flüstere ich. »Ich bin hier, du Dummkopf.«
Sie rollt sich zur Seite, bleibt mit angezogenen Knien auf dem Boden liegen, wie ein Fötus, und starrt unters Bett.
Ich lehne mich ans Bett und wache über meine beste Freundin. Gemurmel und gedämpftes Gläserklirren dringen durch die Tür, ganz leise, als wären die Leute dort draußen sehr weit weg.
Plötzlich geht ein Ruck durch Pens Körper. Sie hebt den Kopf und streckt den Arm aus, langt unter die Tagesdecke und bringt meinen alten Snoopy zum Vorschein, den ich vor zig Jahren, in der Nacht meines allerersten Kusses, unters Bett geworfen habe. Sie setzt sich auf und starrt abwechselnd auf das verstaubte Plüschtier und unser Foto.
»Was willst du denn mit diesem alten Ding?«, frage ich sie, obwohl mir inzwischen klar ist, dass sie mich nicht hören kann.
»Wo auch immer du jetzt sein magst, ich hoffe, du gibst gut auf dich Acht«, flüstert sie, als würde sie mit meinem Plüsch-Snoopy reden. »Wer soll sich denn um dich kümmern, wenn ich es nicht kann?«
»Ich kann mich jetzt um mich selbst kümmern, Pen. Ehrlich. Mir wird nichts mehr zustoßen, das verspreche ich dir.«
»Ich mache mir solche Sorgen.«
»Das musst du nicht«, sage ich. »Nicht mehr. Bitte, mach dir meinetwegen keine Sorgen mehr.«
»Okay.« Sie trocknet ihre Tränen.
Wir sitzen noch einen Augenblick schweigend nebeneinander, meine beste Freundin und ich. Ich weiß, sie kann mich nicht hören, aber vielleicht ist es ja so ähnlich wie früher, als ich manchmal urplötzlich an sie denken musste, und im selben Moment klingelte auch schon das Telefon. Wenn ich dann den Hörer abnahm, sagte ich nicht »Hallo«, sondern »Ich habe gerade an dich gedacht!«.
»Okay«, sagt sie erneut, mit festerer Stimme diesmal, und legt unser Bild und den Snoopy aufs Bett. »Okay.« Sie nimmt sich ein Taschentuch vom Nachttisch und wischt sich damit über das Gesicht.
Dann öffnet sie die Kinderzimmertür, und wir begeben uns wieder zu den anderen Trauergästen.
»Wie geht es dir?«, fragen Kerry Collins, Dana Stanbury und Olivia Wilson auf dem Weg zum Wohnzimmer.
»Jetzt geht es mir wieder gut«, sagt Penelope.
»Wir haben gerade davon gesprochen, wie die arme Alex damals mit ihrer schrecklichen Dauerwelle ausgesehen hat.«
»Sie hat so einiges mitgemacht, aber der Mini war zu viel für sie.«
Sowohl Pen als auch ich müssen lachen, doch sonst stimmt niemand mit ein.
»Tut mir leid«, murmelt sie. »Ich bin nur … Sie fehlt mir.«
»Uns fehlt sie auch«, schnieft Dana, während sich meine Freundinnen in die Arme fallen.
Im Korridor treffen wir auf Charles Kitteredge, meinen ehemaligen Verlobten.
»Wie geht’s?«, erkundigt er sich.
»Gut.« Pen ergreift seine Hand. »Und dir?«
»Sie war ein ganz wunderbarer Mensch«, stellt Charles fest.
»Ja, das war sie«, stimmt sie ihm zu, und wir schieben uns weiter durch das Gewimmel.
Die Rosso-Brüder stehen mit Greg Rice in einer Ecke und winken verhalten, doch Pen sieht durch sie hindurch. Kann ich ihr nicht verdenken.
»Das ist echt typisch für diese Idioten, hier aufzutauchen«, sage ich zu ihr.
»Idioten«, murmelt auch sie.
»Penelope!« Andrew McAuliffe löst sich aus der Menge und legt ihr einen Arm um die Schultern. »Herzliches Beileid, auch im Namen meines Bruders.«
»Danke, Andy. Danke, dass du gekommen bist.« Sie küsst ihn auf die Wange.
»Sie war echt ein verrücktes Huhn.«
»Du sagst es.« Wir setzen unseren Weg fort.
Ich erspähe Tim und Gary, meine Kollegen von der Poststelle. Alt sind sie geworden, aber ihren Anzügen nach zu urteilen scheinen sie in der Firma meines Vaters nicht schlecht zu verdienen. Ich sehe Stan Mitchell, Lou Sernoff und Peter, meinen schwulen Arbeitskollegen. Ist das zu fassen, dass sie den weiten Weg hierher auf sich genommen haben? Neben ihnen stehen Lloyd und Kate. Da bin ich stundenlang herumgerannt, um ein Sonnentop für Kate zu besorgen, und jetzt ist ihr Urlaub ins Wasser gefallen. Kate weint, und Lloyd putzt sich die Nase, aber ich bin nicht sicher, ob auch er weint, oder ob bloß wieder einmal seine Nase läuft.
Auf einmal fällt mir auf, dass ich Pen aus den Augen verloren habe. Ich recke den Hals und bewege mich langsam durch das Gedränge in Richtung Couch. Die Menschen weichen mir aus, als könnten sie mich sehen oder spüren.
Ah, da sind ja meine Großeltern. Und Onkel Morris, Alice
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