Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
standen Hunderte von rot glühenden Engeln und mindestens doppelt so viele Akoloythoi, die alle still zu ihnen hinübersahen. Es konnte keinen Zweifel geben – sie waren entdeckt worden. Selbst wenn man ihnen den Übergang durch den Fluss gestatten würde, so stünden sie dort drüben mitten unter dem Feind.
…
Michael und Elizabeth fühlten sich herumgerissen und unsanft in den Schatten der Hauswände zurückgestoßen. Ehe sie wussten, wie ihnen geschah, waren sie von rund einem halben Dutzend Schatten umgeben, die sie unsanft vor sich hertrieben.
Michael begann sich zu wehren und um sich zu schlagen, doch seine Gegner waren schnell und geschickt. Es gelang ihm nicht, einen einzigen Treffer zu landen und zudem wurde er mehr und mehr von Elizabeth abgetrieben.
„Michael!“, hörte er sie schreien.
„Schhht!“, zischte es vielfach um sie herum und eine fremde Stimme aus den Schatten fauchte: „Wollt ihr, dass man uns entdeckt?“
Von einem Augenblick auf den anderen waren sämtliche Bewegungen in der kleinen Gasse zum Stillstand gekommen und Michael und Elizabeth sahen sich verwirrt um. Die schattenhaften Gestalten um sie herum waren zweifellos Menschen und keine Akoloythoi. Aber mehr noch – sie wirkten keineswegs feindselig, sondern eher getrieben, einige gar verängstigt. Es mussten wohl ein rundes Dutzend Menschen sein, die sich im Halbkreis um die beiden formiert hatten.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns?“, keuchte Michael.
„Leise, verdammt!“, zischte es wieder aus der Menge. Es entstand eine kurze Unruhe, dann trat ein hochgewachsener Mann hervor, dessen abgerissene Kleidung aus dem Barock zu stammen schien. Er war schlank, mit hageren Gesichtszügen und lebhaften Augen, die von zahlreichen Lachfältchen umgeben waren und an einem Ort wie diesem irgendwie fehl am Platze schienen.
„Wir sind hier nicht sicher!“, flüsterte er an Michael gewandt. „Wir sollten aus dieser Gasse raus. Sie könnte allzu leicht für uns zur Falle werden!“
Die Menge setzte sich wortlos in Bewegung und schob Michael und Elizabeth mit sich.
„Was soll das?“, fauchte Elizabeth ungewohnt scharf. „Wo bringt ihr uns hin?“
„Bitte seid leise, Madame“, erwiderte der Anführer der Menge leise. „Habt keine Sorge, wir fügen euch kein Leid zu. Wenn wir in Sicherheit sind, wird genug Zeit für Fragen sein. Es ist nicht weit.“
Michael fing Elizabeths Blick auf und nickte ihr knapp zu. Dann folgten sie schweigend, stets darauf bedacht, im Schatten der Häuserwände zu bleiben. Die ungewöhnliche Gruppe huschte lautlos von Haus zu Haus, hin und wieder blieb sie stehen und ihr Anführer lauschte sorgfältig auf die Geräusche der Umgebung. Dieser Stadtteil war keineswegs so leer und ausgestorben, wie er gerade eben noch auf Michael und Elizabeth gewirkt hatte. Nur wenige Straßen weiter hörten sie menschliche Schreie, das kratzende Brüllen von Akoloythoi kam gleich aus mehreren Richtungen und von irgendwo her erscholl ein gleichmäßige s Hämmern von Metall auf Metall.
Wieder gab der Anführer ein stummes Zeichen und wieder setzte sich die Gruppe in Bewegung. Auf diese Weise mochten sie sich vielleicht einige Minuten lang durch die Stadt bewegt haben, als die umliegenden Häuser plötzlich zurückwichen und den Blick auf eine Straße freigaben. Auf ihrer anderen Seite lag eine ungewöhnlich lange Steinmauer, die ebenso wie alles in dieser Welt in Flammen stand. Nur wenige Meter rechts von ihnen war diese Mauer von einem altertümlich anmutenden Tor durchbrochen, welches nun alle ansteuerten. Michael und Elizabeth folgten ebenfalls, genau wie die anderen beim Überqueren der Straße vorsichtig nach allen Seiten blickend. Allzu leicht mochten auf diesen wenigen Metern Dämonen ihre Blicke auf sie gerichtet haben. Kurz darauf traten sie in den Schatten des hohen Torbogens und waren der Aufmerksamkeit der Straße entzogen.
„Ein Friedhof!“, flüsterte Michael leise. „Wir sind auf einem Friedhof!“
„Allerdings!“, raunte der Anführer ihrer Gruppe. „Aber seid noch einen Augenblick still. Wir sind hier noch nicht sicher. Nun… genau genommen ist man nirgends in der Hölle sicher.“
Zwischen unheimlich lodernden Grabsteinen und marmornen Engeln hindurch huschten sie von Grab zu Grab, selbst die brennenden Bäume gaben ihnen hier Schutz und verbargen sie vor bösen Augen. Kurz darauf standen sie vor einem niedrigen Gebäude, das durch ein Schild über dem Eingang als Krematorium
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