Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
Fällen scheitern wir, denn die Seelen in diesem Kreis der Hölle sind keineswegs umsonst hierher gelangt. Aber manchmal haben wir auch Erfolg…“
„Ihr holt sie aus den Strafen heraus, die die gefallenen Engel für sie erdacht haben und in denen sie von den Akoloythoi festgehalten werden!“, stellte Elizabeth beeindruckt fest. Oliver lächelte wieder matt und öffnete die Hände in einer Geste des Bekennens.
„So ist es!“, gab er zu. „Dann stellen wir sie vor die Wahl, ob sie sich uns anschließen und damit vielleicht ihre Seele heilen möchten.“
„Sie haben recht“, sagte Michael. „Diese Bekehrung hat nichts mit Religion zu tun.“
„Nein, wahrhaftig nicht“, stimmte Oliver ihm zu. „Seht euch um. Die meisten dieser Menschen waren zu Lebzeiten Christen, denn sie kamen aus der Stadt London, in deren höllischem Abbild wir uns befinden. Aber es gibt ebenso einige, die Juden waren. Auch Muslime und Atheisten findet ihr hier. Doch an diesem Ort spielt das alles keine Rolle mehr, denn Religionen bestehen vor allem aus Symbolen und die gibt es hier nicht mehr. Der Christ kann weder Weihnachten noch Ostern feiern, denn es gibt keine Jahreszeiten in der Hölle. Er kann nicht am Abendmahl teilnehmen, denn weder Brot noch Wein stehen zur Verfügung. Der Jude hat kein ungesäuertes Brot und auch der Termin des Passah-Festes ist ihm hier nicht bekannt. Er kann nicht aus der Tora lesen, denn hier gibt es kein Exemplar dieser Schrift. Der Muslim weiß nicht, in welche Richtung er sich gen Mekka verneigen soll und in welchen Abständen er beten soll, denn es gibt keine Tageszeiten und keine Himmelsrichtungen in der Hölle. Er kann hier nicht fasten, denn der Ramadan richtet sich nach dem Mondkalender, doch den Mond sieht man in der Hölle nicht. Er kann den Kampf gegen Ungläubige nicht führen, denn für diesen Kreis der Hölle gilt, dass es der Kampf und das Töten waren, die ihn überhaupt hierher gebracht haben. Wenn Religionen sich allein an Rituale knüpfen, dann kommen sie alle hier zum Erliegen. So kommt es, dass all jene, die in unserer Gemeinschaft ihren Sünden abgeschworen haben, keine Religion mehr leben. Am Ende kommt es nicht auf Symbole an, nicht darauf, wie du zu deinen Mitmenschen stehst, sondern darauf, wie du zu Gott stehst!“
Michael sah Oliver verwirrt an. „Das verstehe ich nicht. Wie meinen sie das?“
Oliver legte seine Hand auf Michaels Schulter und sah ihn ernst an. „Wenn es nur um Symbole ginge“, begann er, „würde ein jeder in den Himmel kommen, der nur oft genug betet, die Fastenzeit einhält und die richtigen Feste feiert. Aber nichts von dem ist Gott wichtig. Nichts davon macht Gott aus.“
„Was macht ihn denn aus?“, fragte Elizabeth leise.
Oliver sah sie nachdenklich an. „Ich weiß es nicht genau“, bekannte er schließlich. „Aber ich weiß, dass die Hölle nicht das Ende sein muss. Und obwohl keiner von uns hier einen Gottesdienst feiert, haben wir dennoch eine winzig kleine Chance auf Vergebung am Tag des Jüngsten Gerichts. Solange wir nur bereits sind jenen Weg zu verlassen, der uns in die Hölle geführt hat.“
„Ja heißt denn das, dass alle Gottesdienste in der Welt der Lebenden überflüssig und sinnlos sind?“, hauchte Elizabeth fassungslos.
„Oh nein. Durchaus nicht“, erwiderte Oliver. „Sie geben den Menschen das Gefühl Teil einer Gemeinschaft zu sein. Das macht sie stark und nur wer stark ist, kann der Sünde widerstehen. In allen Religionen sollen Gottesdienste die Menschen zusammenführen und etwas bewirken. Das macht Religionen und ihre Gottesdienste sehr mächtig. Und diese Macht kann Welten verändern. Zum Guten oder zum Schlechten. Das hängt von der Botschaft ab, die übermittelt wird.“
Eine Weile schwiegen sie und blickten auf das Treiben in der Halle. Zu keinem Zeitpunkt wurde es hier laut, beinahe so, als seien die Menschen sich der Gefahr außerhalb der Mauern zu jeder Zeit bewusst und wollten eine Entdeckung verhindern. Eine Entdeckung, die Olivers Worten zufolge schon längst stattgefunden hatte. Merkwürdig, dachte Michael. Warum griffen die gefallenen Engel das Krematorium nicht einfach an, wenn sie doch um die Gemeinschaft der Kirche der Verlorenen wussten?
„Ich bin neugierig“, sagte Oliver schließlich. „Wie seid ihr hierhergekommen und wer seid ihr? Normale Sünder könnt ihr nicht sein, soviel ist mir klar.“
Michael und Elizabeth sahen einander kurz an, dann nickten sie kaum sichtbar.
„Das ist eine
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