Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
gestanden haben und nichts dagegen taten.“
„Und die Kirche der Verlorenen?“, fragte Michael. „Sind das all jene, die sich davon losgesagt haben?“
Oliver lächelte. „Ja. Ein Jeder hier ist völlig zu Recht in die Hölle gekommen. Aber wir haben unsere Verfehlungen bereut und uns hier in der Hölle von ihnen losgesagt. Dort draußen…“, Oliver wies zu jener kleinen Tür hinüber, durch die sie eingetreten waren, „…dort herrschen Chaos, Gewalt, Mitleidlosigkeit, Zerstörung. Aber hier drinnen haben wir uns einen Ort der Ruhe und der Andacht geschaffen. Wir nehmen nicht mehr an jenem Leben teil, das die Hölle zur Hölle macht. Wir bemühen uns um ein gottgefälliges Leben. Ein Leben voll Nächstenliebe und Vergebung.“
Oliver verstummte und sah sich erschöpft um. Die Menschen hier mochten sich einen Ort des Friedens inmitten der Hölle geschaffen haben. Doch das bedeutete nicht, dass man die Welt außerhalb dieser Mauern völlig vergessen konnte.
„Was ist mit den gefallenen Engeln und den Akoloythoi?“, fragte Elizabeth zaghaft. „Sind die keine Gefahr für eure… eure Gemeinschaft?“
Oliver zögerte einen Augenblick. „Ja, weißt du… das ist merkwürdig“, begann er. „Ich weiß nicht, warum es so ist, aber es scheint, dass die Dämonen von unserer Existenz Kenntnis haben und dennoch nichts gegen uns unternehmen…“
„Was? Wie kann das sein?“, fragte Michael verwirrt.
„Nun ja… hin und wieder sind einige von uns dort draußen unterwegs… so wie heute auch… Es war übrigens ein ungewöhnlicher Zufall, dass wir euch entdeckt haben. Aber in der Vergangenheit haben schon mehrfach Akoloythoi uns in den Straßen der Stadt entdeckt. Wir haben schon ein paar Mal Menschen verloren, die von den Akoloythoi angegriffen und verschleppt wurden. Aber obwohl sie uns mehrfach auf den Friedhof haben flüchten sehen, sind sie uns nie sehr weit gefolgt. Spätestens am Eingang des Krematoriums haben sie sich bislang immer zurückgezogen. Vor einigen Jahren hat es einmal eine richtige Verfolgungsjagd durch die Straßen gegeben. Wir waren vielleicht zwanzig Menschen und bereits auf dem Rückweg, als wir in eine Falle liefen. Mindestens zwanzig Akoloythoi und ein gefallener Engel lauerten uns am Eingang des Friedhofs auf. An jenem Tag haben wir fünfzehn von uns verloren, aber die anderen konnten sich hier hinein flüchten. Die Dämonen haben nicht einmal versucht, diesen Ort zu stürmen.“
Michael und Elizabeth sahen einander verblüfft an.
„Wir sind immer sehr vorsichtig da draußen“, fuhr Oliver zögernd fort. „Aber zumindest wissen wir, dass wir hier drinnen aus irgendeinem Grund sicher sind.“
„Warum geht ihr überhaupt noch nach draußen?“, fragte Michael. „Warum setzt ihr euch dieser unnötigen Gefahr aus?“
„Du bist noch nicht lang genug in der Hölle, stimmt’s?“, entgegnete Oliver beinahe amüsiert. „Die Leiden, denen du hier ausgesetzt bist, sind nur die Hälfte deiner Qual. Ebenso schlimm ist, dass du hier zum Stillstand verdammt bist und keine wirkliche Aufgabe hast. Selbst wenn du nicht von Dämonen verfolgt und gequält wirst, so besteht dein Leben doch nur darin, auf der Flucht vor ihnen zu sein und in irgendeinem finsteren Loch auf den Tag des Jüngsten Gerichts zu warten. Weißt du eigentlich, wie sehr das deine Seele zerfrisst, wenn du nichts tun kannst? Bis in alle Ewigkeit? Wenn es nichts gibt, womit du deine Tage füllen kannst? Wenn es nichts gibt, was dich Mensch sein lässt? Weil nichts wirklich wichtig ist und deiner Existenz einen Sinn gibt?“
Michael schüttelte den Kopf.
„Frage dich einmal, was deinem Leben eigentlich einen Sinn geben sollte“, fuhr Oliver fort. „Wir alle hier glauben fest daran, dass der Sinn des Lebens in der Hölle genau derselbe ist, wie in der Welt der Lebenden – nämlich die Welt ein klein wenig besser zu machen. Aber wie macht man das in der Hölle? Lässt ein solcher Ort sich überhaupt heilen? Nun, immerhin wollten wir es versuchen. Deshalb verlassen wir unser Versteck immer wieder, um dort draußen im tobenden Chaos nach Menschen zu suchen, die wir wieder auf den richtigen Pfad führen können.“
„Ihr bekehrt sie?“, fragte Elizabeth. Oliver verzog bei diesem Wort gequält den Mund.
„Bekehren klingt nach Religion“, sagte er. „Wir versuchen eher ihnen bewusst zu machen, dass sie auch jetzt noch eine Wahl haben. Dass sie noch immer mit sich selbst ins Reine kommen können. In den meisten
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