Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
durch. „Ich habe ihn so oft vor mir gesehen, darin bestand meine Hölle. Aber sein Anblick gab mir Kraft, denn um nichts in der Welt wollte ich ihn noch nach seinem Tod enttäuschen. Vielleicht ergibt das keinen Sinn für euch, Milady, aber sein Bild war die einzige Gesellschaft, die ich jahrhundertelang hatte. Irgendwann war es fast wie ein Freund. Ein Freund, den ich nicht enttäuschen wollte. Ich konnte die Verantwortung für seinen Tod nicht abstreiten, das wäre mir wie ein Verrat an diesem einzigen Freund erschienen, der mir geblieben war…“
Eleanor sah William aufmerksam an, der mit einem gequälten Lächeln den Blick gesenkt hatte.
„Das verstehe ich besser, als du glaubst“, sagte sie, während sie seine Hand ergriff und zaghaft drückte. „Aber wie kannst du jetzt stark sein? In all dem hier…“
Sie streckte die Hand aus und wies auf die furchteinflößende Landschaft und den brodelnden Himmel.
William hob den Blick und sah sie an. Dann legte er seine Hand auf ihre.
„Ich bewege mich“, sagte er schlicht. „Ich sehe die Veränderungen der letzten Zeit als unendlich wertvoll an. Es kümmert mich nicht, dass wir auf dem Weg ins Zentrum der Hölle sind, solange ich nur das Gefühl habe, etwas ändern zu können. Versteht ihr, Milady? Die Hölle besteht doch eben darin, dass man seine Sünde nicht mehr aus eigener Kraft ungeschehen machen kann, dass man nichts mehr bewirken kann. Die Hölle ist Stillstand, man sitzt fest. Aber mit euch kann ich das Gefühl haben, etwas ändern zu können. Wie sagt man doch? Das Meer hat viele Ufer – vielleicht treibt es mich an ein besseres!“
Eleanor lachte leise und William ließ sich für einen Moment davon anstecken. Dann erhoben sie sich und blickten den Weg entlang, der vor ihnen lag.
„Du hast recht, William“, sagte Eleanor. „Wir sollten uns auf den Weg machen. Wenn die Dämonen die Wege dieser Welt vor uns geräumt haben, kommen wir schneller voran. Das müssen wir ausnutzen, bevor die Bewohner dieses Kreises aus ihren Verstecken hervorkommen!“
William nickte. Dann gingen sie voran und ließen den kleinen Flecken des grünen Paradieses hinter sich, den Eleanor erschaffen hatte.
Sie folgten dem staubigen Pfad, der zwischen Geröll und mannsgroßen Findlingen durch die Hügel führte. Es war eine staubige und unfreundliche Landschaft, die an vielen Stellen von den Überresten toter Lebewesen bedeckt war. Allzu oft erkannte Eleanor menschliche Körperteile, die halb verwest zwischen den Steinen lagen und von Fliegen umschwärmt wurden. Sie hatte kaum eine Möglichkeit diesem Anblick zu entfliehen, denn sie achtete peinlich genau darauf, nicht nach oben zum Himmel zu sehen. Der Anblick der tobenden Blutströme über ihren Köpfen war so furchteinflößend, wirkte so schwer und bedrohlich, dass sie den Blick gesenkt hielt und unwillkürlich zwischen die Schultern zog. Ein angstvoller Seitenblick zu William verriet ihr, dass es ihm ebenso ging.
Nach Stunden wie es schien, erreichten sie so etwas wie eine Siedlung, die jedoch leer und ausgestorben war. Nicht eine einzige Seele schien hier zu sein, doch sie gingen trotzdem äußerst vorsichtig vor und schlichen sich heimlich von Haus zu Haus, um nur ja nicht entdeckt zu werden.
„Wer weiß, ob hier überhaupt je Menschen gelebt haben“, flüsterte Eleanor, nachdem sie das letzte Haus hinter sich gelassen hatten.
„Wie meint ihr das, Milady?“, gab William ebenso leise zurück.
„Nun ja. Wenn ich in diesem Teil der Hölle leben müsste, würde ich mich nach Möglichkeit von anderen Menschen fernhalten. Wer weiß, was die einem antun würden, wenn man nur einen Augenblick lang unaufmerksam ist?“
„Wenn ihr hier leben müsstet, Milady, würdet ihr anders denken. Die Verdammten dieses Kreises sind grausame Menschen, die aus dem Leid anderer Stärke ziehen. Ein jeder von denen würde sich in einem solchen Dorf wohlfühlen, weil es ihm die Möglichkeit gibt, anderen Schaden zuzufügen. Ein Eremitendasein würde zu keinem von ihnen passen.“
Eleanor sah ihn überrascht an, während er mit grimmigem Gesicht neben ihm her stapfte. So hatte sie es tatsächlich noch nicht gesehen. Tatsächlich, was dem einen als Hölle erscheinen mag, ist für den anderen ein Paradies. Je nachdem, wie verrottet man in seinem Innersten ist.
Unglücklich trottete Eleanor an Williams Seite voran. Weiter ging es zwischen den eintönigen und kahlen Hügeln hindurch und mehr und mehr begann sie nun die
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