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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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Orientierung zu verlieren. Alles in diesem Teil der Hölle wirkte gleich, beinahe so, als hätten die Seelen dieses Ortes über keinerlei Phantasie verfügt. Vermutlich war dem auch so, dachte Eleanor betrübt. Wer so schwer durch Grausamkeiten gesündigt hatte, der konnte kaum über so etwas wie Phantasie verfügen. Ein Ort, den Kinderseelen erschaffen hätten, würde zweifellos anders aussehen…
    Mehrfach glaubte sie in den kommenden Stunden das Rauschen des Grenzflusses zu hören, doch ebenso schnell verschwand das Geräusch auch wieder, davongeweht von der trügerischen Hoffnung auf eine Erlösung, die es niemals geben würde. Eleanor bemerkte schon nicht einmal mehr, dass sie die Arme wie in großer Kälte um sich geschlungen hatte und Tränen ihre staubigen Wangen hinabliefen. Kraftlos stolperte sie voran. Die Luft um sie herum flimmerte und brannte unangenehm auf ihrer Haut, ihre Beine wurden immer schwerer. Eine unglaubliche Erschöpfung machte sich in ihr breit, so dass sie schließlich um jeden Schritt kämpfen musste und nicht einmal mehr zu William hinübersehen konnte.
    „Ich kann nicht mehr“, krächzte sie irgendwann, doch es dauerte eine ganze Weile, bis William ebenso schwach antwortete.
    „Das macht diese Welt aus uns…“, hauchte er.
    Erst jetzt zwang Eleanor sich, ihn anzuschauen und der Anblick, der sich ihr bot, erschreckte sie bis ins Mark. William wirkte ungewohnt ausgemergelt und erschöpft, so wie er neben ihr einherging. Auch er hielt sich mit den eigenen Armen umfangen, fast als würde er sonst einfach auseinanderfallen. Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Lippen wirkten ausgetrocknet und rissig. Trotz der offensichtlichen Hitze um sie herum zitterte er am ganzen Leib.
    „Es kann nicht mehr weit sein, oder?“, fragte sie müde, während sie ihn zwang ihren Blick zu erwidern. Unendlich mühsam hob er den Kopf.
    „Ich weiß es nicht… aber ich hoffe es… ich hoffe es so sehr…“
    Kraftlos trotteten sie weiter, doch sie waren erst wenige Schritte weite gekommen, als ein vertrautes Geräusch an ihre Ohren drang. William versteifte sich sofort, seine Müdigkeit war von einem Augenblick auf den anderen eingedämmt.
    „Akoloythoi!“, flüsterte er, während er Eleanor am stumpfen Weiterlaufen hinderte.
    „Wo?“, keuchte sie matt.
    „Ich glaube, es kam von dort vorn. Es klang wie ein Schrei.“
    Sie hielten beide inne und blickten auf den Pfad vor sich. Nach einigen Dutzend Metern verschwand der Weg hinter einer hügeligen Wegkehre, so dass sich nur erahnen ließ, was dort vor ihnen liegen mochte. Aber an dem Geräusch zweifelte keiner von ihnen, sie hatten es beide gehört.
    Sie sahen einander kurz an, dann nickte William und sie setzten sich wortlos in Bewegung. Vorsichtig gingen sie weiter, erreichten jene Stelle, an der sich die Straße sanft nach rechts zu biegen begann und betraten die letzten Meter, die ihnen gerade eben noch die Sicht versperrt hatten. Vor ihnen lag ein schmaler Hohlweg, der zu beiden Seiten von schroffen Felswänden gesäumt war, die ein halbes Dutzend Meter in die Höhe ragten. Dort vor ihnen musste die Gefahr lauern, daran konnte es keinen Zweifel geben.
    „Hört ihr das, Milady?“, fragte William tonlos.
    Eleanor nickte. Auch sie konnte das Rauschen eines gewaltigen Grenzflusses nun deutlich vernehmen.
    „Wie wollen wir vorgehen?“, fragte William. „Sollen wir zurückgehen und einen anderen Übergang suchen?“
    Eleanor zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
    „Wir werden ihnen nicht entgehen können“, erwiderte sie bitter. „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sich ihnen zu stellen. Ich will nicht länger vor ihnen davonlaufen… Immerhin, selbst wenn wir das nicht überleben, so können wir doch sagen, dass wir es bis zum dritten Kreis der Hölle geschafft haben. Wer sonst kann das von sich behaupten?“
    William sah sie einen Moment zögernd von der Seite an. Dann zog sich ein Grinsen über sein Gesicht und er nickte.
    „ So soll es sein!“
    Sie richteten ihren Blick wieder auf den schmalen Hohlweg vor sich und gingen sie Seite an Seite auf ihn zu. Schon traten sie in den Schatten der hohen Felswände, so dass das Rauschen des Flusses nun von allen Seiten auf sie eindrang. Abrupt wichen die Felsen zurück und vor ihnen öffnete sich eine Weite Ebene. Nur etwa hundert Meter von ihnen entfernt zog einer der schwarzen Grenzflüsse durch die karge Landschaft. Und an seinem anderen Ufer, zwischen Geröll und flimmerndem Staub,

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