Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
das niemandem ein Leid zufügen konnte. Die Alte sah Eleanor gutmütig von der Seite an, dann meinte sie: „Nun, es sieht so aus, als wäre ich an der Reihe.“
Sie griff nach dem Rocksaum ihrer Vorgängerin, die gerade eben noch im dunklen Tunnelloch zu erahnen war, als plötzlich Bewegung im Tunnel zu hören war. Eine Stimme rief: „Zurück! Alles zurück!“ und beinahe sofort kam die letzte Frau rückwärts aus dem Tunnel gekrochen. Kurz darauf standen die meisten Frauen wieder in der Höhle und die Männer kündigten sich bereits durch lautstarkes Schnaufen und Fluchen an. Dann endlich erschienen William, Toby und Robert. Robert hatte die meisten Schwierigkeiten, heil aus dem Loch zu kommen, da er seine Hände nicht einsetzen konnte. Mit ihnen hielt er eine vor Schreck völlig gelähmte Allys fest, die er mühsam hinter sich her schleifte. Kaum hatte er das grausige Tunnelloch verlassen, als schon hilfsbereite Hände nach seiner Frau griffen und sie sanft in die Höhle hinein holten.
„Allys, Allys, du bist in Sicherheit!“, redete Robert sanft auf sie ein. „Du musst keine Angst haben. Wir sind alle hier.“
Eleanor schob sich durch die wartenden Leute. Keiner wagte ein Wort zu sagen, doch alle waren froh, den Tunnel endgültig verlassen zu haben. Langsam ließ Eleanor sich vor Allys nieder und nahm ihr Gesicht in die Hände.
„Allys, was war da draußen los?“, flüsterte sie. „Was ist geschehen?“
Nur langsam klärte sich Allys‘ starrer Blick und sie begann die Menschen in ihrer Umgebung wieder wahrzunehmen. Allein ihre verkrampfte Körperhaltung verriet, dass sie noch immer unter Schock stand.
„Ich… ich weiß es nicht…“, stammelte sie. „Ich sah das schwarze Wasser… und ich war nicht in der Lage, in den Tunnel zu kriechen. Wann immer ich hineinwollte, und dem Fluss nahe kam, war es, als ob tausend Stimmen auf mich einsprachen, ich solle in den Fluss springen. Ich war vor Angst wie gelähmt, aber fast wäre ich gesprungen…“
„Es ist alles gut, Allys. Wir sind jetzt bei dir!“, beruhigte Robert sie unter Tränen. „Wir hätten dich doch nie allein gelassen…“
Bei diesen Worten begann auch Allys zu weinen. Sie klammerte sich an Robert und bemühte sich, tapfer zu nicken. Endlich brachte sie so etwas wie ein Lächeln zu Stande, während sie sich die Tränen ungeschickt übers Gesicht verschmierte. Erleichtert lachten einige der Anwesenden auf. Toby klopfte Robert auf die Schulter. Immerhin hatte diese Episode eines gezeigt – die Menschen in dieser Gruppe mochte zu Lebzeiten schwere Sünder gewesen sein, doch hier hatten sie begonnen, einander zu helfen und füreinander einzustehen. Eleanor lächelte stolz.
„Milady, es wird Zeit weiterzugehen“, sprach William sie an. „Ich fühle mich nicht wohl in dieser Felsenkammer. Sie erinnert mich zu sehr an den Kerker in Crowstone, in dem ich viel zu lange festgesessen habe…“
„Du hast recht“, erwiderte Eleanor. „Gib Anweisung, dass es weitergeht.“
William nickte kurz und erhob seine Stimme. Kurz darauf formierten sich die Menschen hinter Eleanor, die wie üblich vorangehen würde. Sanft brachte man Allys wieder auf die Beine und kurz darauf setzten sich alle in Bewegung. Noch immer leuchtete der Gang am Ende der Höhle vor ihnen unheilvoll, doch nach ihrer Begegnung mit dem finsteren Tunnel unter dem Fluss waren alle froh, wieder nach vorn blicken zu können.
So verließen sie die kleine Höhle und betraten den Gang. Er war zwar eng, doch konnten zumindest zwei Menschen nebeneinander gehen, so dass sich die üblichen Paare zusammenfanden. William hielt sich dicht neben Eleanor.
Bereits kurz nachdem sie die kleine Höhle verlassen hatten, gingen die Felswände des Ganges in gemauerte Wände über und es konnte keinen Zweifel mehr daran geben, dass sie nun endgültig aus der Wildnis des siebten Kreises in Regionen kamen, in denen sie mit weitaus mehr Menschen rechnen mussten. Menschen und Akoloythoi.
Den Ursprung des geisterhaften Lichtes, in welches der Gang getaucht war, konnten sie hingegen nicht bestimmen. Fast schien es, als leuchtete die Luft selbst um sie herum, denn die großen Felsblöcke, aus denen der Gang bestand, wirkten grau und stumpf. Zum wiederholten Mal wünschte sich Eleanor, dass ihre Gruppe kleiner, oder doch zumindest leiser wäre. Denn das unablässige Scharren und Schlurfen der vielen Füße hinter ihr bereitete ihr Sorge. Sicher würde man sie hunderte von Metern weit in den Gängen
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