Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
mir sicherer. Immerhin ist uns hier noch niemand über den Weg gelaufen.“
„Vielleicht ist genau das unser Problem“, sagte Eleanor wir zu sich selber. „In allen anderen Höllenkreisen bin ich auf Sünder gestoßen. Hier noch nicht. Vielleicht ist das eine Bedingung, die erfüllt sein muss, um den nächsten Grenzfluss zu finden.“
Einen Augenblick lang war es still, alle sahen Eleanor an. Dann fragte William: „Welchen Sinn sollte eine solche Bedingung haben? Ich könnte verstehen, wenn du den nächsten Grenzfluss nur finden kannst, indem du in jedem Kreis eine Seele befreist, aber im letzten Kreis haben wir im Gegenteil sogar eine verloren – James. Befreit hast du dort niemanden.“
„Vielleicht geht es nicht darum, jemanden zu befreien“, erwiderte Eleanor. „Vielleicht geht es nur darum, ihr Leid zu sehen. Streng genommen seid auch ihr alle ja nicht von mir befreit worden. Ihr mögt den Ort eurer Strafe verlassen haben, aber die Hölle habt ihr nicht verlassen können. Zumindest noch nicht.“
„All diese Wenn und Aber bringen uns nicht weiter“, wandte Robert ein. „Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht wissen, woran wir sind und wie es weitergehen soll.“
Alle sahen Eleanor an. Es war offensichtlich, dass sie alle eine Entscheidung von ihr erwarteten, doch sie konnte nur schwach mit den Schultern zucken. In diesem Moment berührte Allys sie sanft am Arm und sagte fast schüchtern: „Wir gehen mit dir, Eleanor, egal wohin du uns führst. Vielleicht solltest du einfach deinem Gefühl folgen.“
Eleanor zögerte, dann atmete sie tief durch.
„Wir werden John Connors folgen“, sagte sie. „Ich habe schon James verloren. Ihn werde ich nicht verlieren.“
Und während sie ihre kleine Gruppe auf den finsteren Tunnel zuführte, in dem John Connors verschwunden war, kreuzte der schwarze Grenzfluss zum fünften Höllenkreis nur wenige hundert Meter weiter träge und ölig eben jenen Gang, den sie nun verließen.
…
Michael und Elizabeth drückten sich in einen Hauseingang. Wieder einmal waren sie nur knapp einem Akoloythos entkommen. Der letzte hatte so still und regungslos im Fenster eines brennenden Hauses gehockt, dass sie ihn zunächst gar nicht wahrgenommen hatten. Glücklicherweise war seine Aufmerksamkeit von einigen Seelen in Anspruch genommen gewesen, die unter seiner Aufsicht mit bloßen Händen aus der Straße Pflastersteine zu reißen hatten.
Sie waren jetzt in einen Bereich der Stadt gekommen, in der sie immer öfter auf die Seelen Verdammter gestoßen waren. In großen Gruppen und von den widerlichen Akoloythoi bewacht, wurden sie durch die Straßen getrieben und zu sinnlosen Sklavenarbeiten getrieben. Michael konnte sich nicht daran erinnern, je von derartig üblen Strafmethoden gehört zu haben, wie jenen, denen die Verstorbenen hier ausgesetzt waren. Einmal waren sie auf mehrere dieser üblen Dämonen gestoßen, die sich auf den Rücken gepeinigter Seelen ein Straßenrennen lieferten. Dabei hieben die Akoloythoi mit Peitschen auf die Menschen ein, um schneller voranzukommen und die anderen Kontrahenten zu überholen. Ein anderes Mal beobachteten sie einen geflügelten Akoloythos, der Menschen vor sich durch die Straßen trieb und immer wieder auf sie hinabstieß, sich einen von ihnen griff und dann mit ihm über eines der brennenden Gebäude flog, von wo er ihn dann in die Flammen hinab warf. An diesem Ort waren die Menschen wenig mehr als Vieh, das den Launen grausamer Herren ausgesetzt ist und niemals auf Erlösung hoffen darf. Michael und Eleanor erschauerten.
„Das war knapp!“, flüsterte Michael nicht zum ersten Mal. Elizabeth nickte wortlos. Sie lösten sich von der Hauswand und schlichen durch das allgegenwärtige rote Flackerlicht auf die Überreste eines kleinen Parks zu, welcher auf der anderen Straßenseite zu erkennen war. Seine nackten, rußgeschwärzten Bäume standen ebenso wie alles andere in Flammen und die vor Hitze wabernde Luft ließ die schlanken Eisenstäbe des Parkgitters vor ihnen förmlich tanzen. Schnell huschten sie in die vermeintliche Deckung zwischen den Bäumen und liefen weiter geradeaus, bis sie im Zentrum des Parks ein Standbild vor sich ausmachen konnten. Hastig liefen sie darauf zu, doch noch ehe sie es erreichten, erkannten sie ihren Fehler. Von links erklang plötzlich ohrenbetäubendes Geschrei und sie wussten, dass sie von mehr als einem Akoloythos entdeckt worden sein mussten.
„Hier entlang!“, schrie Michael,
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