Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
dieses unterirdischen Ortes hören können. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis das erste Wesen mit finsteren Absichten auf sie aufmerksam wurde.
Während Eleanor dies dachte, kamen sie an einem ersten Torbogen vorbei, hinter dem tiefste Dunkelheit gähnte. Schnell gingen sie daran vorbei, denn das ungute Gefühl, das sie im Angesicht dieser Finsternis beschlich, war kein guter Weggefährte. In ihrem eigenen Gang mochte das Licht wohl unheimlich wirken, aber es war dennoch Licht und es ließ sie sehen.
„Wie sollen wir hier unseren Weg finden?“, flüsterte William an ihrer Seite. „Wir haben ja keine Ahnung, wohin wir laufen.“
„Das hatten wir draußen auch nicht“, erwiderte Eleanor ebenso leise. „Und trotzdem haben wir immer den Weg zum nächsten Grenzfluss gefunden. Wir können nur hoffen, dass es uns hier auch gelingt.“
William antwortete nicht, doch sie spürte mehr, als dass sie es sah, wie er neben ihr nickte. So gingen sie weiter, Stunde um Stunde, Tag für Tag wie es schien. Schon bald hatten sie alle jedwedes Zeitgefühl verloren. Niemand von ihnen hätte sagen können, wie lange sie bereits unterwegs waren, denn sie hatten keine Körper mehr, die ermüden konnten, die sich nach Essen, Trinken oder Schlaf gesehnt hätten. Ihre Umgebung veränderte sich nur wenig, hin und wieder wurde der Gang ein wenig breiter, dann wieder schmaler. In unregelmäßigen Abständen öffneten sich zu ihrer Seiten Torbögen, die ins Unbekannte führten, doch sie wählten keinen von ihnen, denn entweder waren sie unbeleuchtet, oder es klangen durch sie grausame Stimmen und Schreie aus weiter Ferne zu ihnen. Ihr eigener Weg jedoch führte sie bislang sicher und vor fremden Augen unbeobachtet immer tiefer in dieses unterirdische Reich. Er verlief keineswegs immer gerade, sondern schraubte sich, beständig nach unten neigend, auch des Öfteren in engen Windungen hinab. Dann plötzlich schien er seiner eigenen Kurven überdrüssig und begradigte sich auf unbestimmte Länge wieder, bevor er irgendwann erneut in Kurven verfiel. Je weiter sie ihn jedoch gingen, desto mehr schlug ihnen dieser Tunnel aufs Gemüt, denn einen Weg zu gehen, dessen Ende nicht absehbar ist und von dem sich dennoch nicht abweichen lässt, kann selbst eine gestählte Seele über kurz oder lang in die Knie zwingen. Doch gestählt war in Eleanors Truppe niemand mehr.
So kam schließlich, was unweigerlich hatte kommen müssen. Irgendwann erklangen von hinten verärgerte Stimmen. Gerade eben hatten sie wieder das Tor zu einem Seitentunnel passiert und Eleanor ließ die Menschen nun halten.
„Was ist dahinten los?“, fragte sie leise.
„Das hat doch alles keinen Sinn“, erklang eine zornige Stimme.
„Wer hat das gesagt?“, fragte William ungehalten.
„Ich!“, erwiderte jemand und schob sich durch die wartenden Menschen nach vorn. Vor Eleanor und William blieb ein junger Mann stehen, der sich bislang in Eleanors Gesellschaft stets zurückgehalten hatte. Jetzt jedoch wirkte er aufgebracht und aggressiv.
„Was ist dein Problem?“, hakte Eleanor nach.
„Was mein Problem ist? Wir laufen jetzt schon eine Ewigkeit hier herum. Wer sagt uns denn, dass dieser Weg überhaupt ein Ende hat? Hat mal jemand darüber nachgedacht, dass wir hier bis in alle Ewigkeit in diesem Tunnel gefangen sein könnten?“
„Du redest Unsinn!“, schaltete Robert sich ein. „Jeder Weg hat irgendwann ein Ende. Selbst der längste.“
„Eben nicht!“, hielt der junge Mann dagegen. Eleanor glaubte sich erinnern zu können, dass sein Name Jim oder John lautete.
„Du heißt John, richtig?“, wagte sie einen Schuss ins Blaue.
„John Connors, Madam.“
„Gut, John Connors. Dann sag mir doch, warum du glaubst, dass dieser Tunnel kein Ende haben könnte.“
John Connors zögerte keinen Augenblick. „Weil wir hier nicht in der Welt der Lebenden sind. Wir sind in der Hölle und hier gelten andere Gesetze. Soweit es sich sagen lässt, ist die Hölle eine Geisterwelt, die außerhalb des physikalischen Universums existiert. Daher hat sie keinerlei real messbare Dimensionen und folglich muss eine Straße nicht zwingend ein Ende haben.“
Eleanor war baff. Sie hatte mit ungefähr allem gerechnet, aber nicht mit einer solchen Antwort.
„Was hast du zu Lebzeiten gemacht und aus welcher Zeit stammst du?“, fragte sie.
„Ich war Naturwissenschaftler. Sir Isaac Newton war einer meiner Lehrer.“
„Und was schlägst du vor? Wie sollen wir deiner Meinung
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