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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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während er nach Elizabeths Hand griff und sie nach rechts herumriss. Seite an Seite rannten sie durch den Park, doch es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Akoloythoi sie in die Finger bekamen. Dort war schon der Ausgang zu sehen, hinter dem eine schmale Straße quer verlief. Dahinter lagen Londoner Stadthäuser, die unwirklich in die allgegenwärtigen Flammen und den schwarzen Rauch gehüllt waren. Ein jedes von ihnen wirkte jahrhundertealt, doch sie waren hier in einem Bezirk Londons, in dem viele dieser alten Häuser standen und der seit jeher zu den besseren Adressen der Stadt gezählt hatte. Ohne sich umzusehen liefen sie über die Straße und stürmten auf den Eingang eines der Häuser zu. Vielleicht hatten sie im Innern eines Gebäudes bessere Chancen, ihre Verfolger aufzuhalten oder gar gänzlich abzuschütteln. Hier draußen jedoch wären sie ihnen schutzlos ausgeliefert. Sie hasteten zur Tür und rüttelten an ihr. Und zu ihrer eigenen Verwunderung schwang die Tür tatsächlich auf und ließ sie ein. Michael und Elizabeth stürzten in die Dunkelheit des Hauses und warfen die Tür hinter sich zu.
    „Hilf mir die Tür zu verbarrikadieren!“, schrie Michael, doch Elizabeth starrte nur verwundert durch das Fensterglas der Tür hinaus, ohne sich zu regen.
    „Was ist?“, keuchte Michael, doch dann folgte er ihrem Blick und erstarrte ebenso. Draußen, im zitternden Zwielicht der brennenden Stadt, machte er rund ein Dutzend Akoloythoi aus. Keiner von ihnen machte jedoch Anstalten das Haus zu stürmen. Sie mussten sie ganz sicher gesehen haben, doch anstatt ihnen zu folgen, blieben sie – wie von einer unsichtbaren Barriere gehalten – auf merkwürdige Distanz zum Haus. Keiner von ihnen wagte offenbar die Straße zwischen der Häuserzeile und dem Park zu überqueren. Stattdessen schlichen sie wie eingesperrte Raubtiere den Straßenrand entlang, unablässig das Haus musternd und doch unschlüssig und abwartend.
    „Ich habe ein ganz mieses Gefühl in der Magengegend!“, flüsterte Michael. „Warum kommen die nicht einfach rein?“
    „Sie trauen sich nicht!“, wisperte Elizabeth ebenso leise zurück. „Offenbar wagen sie sich nicht hier hinein.“
    Michael zauderte. „Das kann nichts Gutes bedeuten“, erwiderte er schließlich mit rauer Stimme. „Wir sollten hier nicht bleiben.“
    „Hinaus können wir aber auch nicht. Dann haben sie uns gleich.“
    „Vielleicht gibt es einen Hinterausgang, durch den wir uns davonstehlen können.“
    Elizabeth sah Michael kurz an, dann nickte sie entschlossen. Jetzt sahen sie sich zum ersten Mal genauer um. Sie standen in einer schmalen Diele, an deren Ende eine Treppe in den ersten Stock führte. Links von ihnen befand sich eine Tür, die wohl zum unteren Salon gehörte. Vorsichtig drückte Michael die Klinke hinunter und spähte in das Zimmer. Es war leer. Allein der schlichte Kronleuchter und der Kamin bestätigten seine Annahme. Leise schloss er die Tür wieder. Von diesem Raum aus würden sie das Haus nicht verlassen können.
    „Ich weiß nicht, warum die Akoloythoi vor diesem Haus Angst haben, aber in den Keller kriegst du mich nicht“, flüsterte Michael. Mit Grausen dachte er an seine letzte Begegnung mit Jonathan Towers in seinem eigenen Haus zurück. „Vielleicht haben wir in einem der oberen Stockwerke mehr Glück. Vielleicht gibt es von dort aus eine Feuerleiter, die uns an der Rückseite des Hauses nach draußen bringt.“
    Leise bewegten die zwei sich auf die Treppe am Ende des Ganges zu. Dieses Haus begann ihnen mehr und mehr Furcht einzuflößen. Es stand leer, wirkte vernachlässigt und finster, doch das Flackern der Flammen von draußen versetzte die altertümlichen Tapeten in unheimliche Bewegung und gab dem Haus etwas zutiefst lebendiges.
    „Mein Gott, wenn ich je ein Geisterhaus gesehen habe, dann dieses!“, hauchte Michael. Verstohlen blickte er zu Elizabeth, während ihm die Ironie seiner Worte bewusst wurde. Sie hatte jahrelang selbst als Geist gelebt, doch ein Blick in ihr Gesicht sagte ihm, dass sie sich ebenso vor diesem Haus fürchtete wie er. Auf Zehenspitzen schlichen sie die Treppe empor, stets in Sorge, dass die alten Bodenbretter unter ihnen knarren und sie verraten könnten.
    Schließlich aber hatten sie das erste Stockwerk erreicht und sahen sich um. Zwei Türen gab es hier, doch nur jene, die ihnen am nächsten lag konnte von Interesse sein. Die andere würde unzweifelhaft zu einem Zimmer führen, welches auf die

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