Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
vordere Straße hinausging und dieser Weg war ihnen versperrt. So öffneten sie die nähergelegene Tür und lugten vorsichtig in das Zimmer. Es stand ebenso wie der untere Salon leer. Das Flackern der Flammen vor den Fenstern zauberte kranke Schattenwesen auf die Wände, die zu einer unhörbaren Musik wie irr zu tanzen schienen. Und beinahe schien es, als würden die Wände selbst sich bewegen und dem Rhythmus dieses höllischen Musikstücks folgen, als würde das Haus atmen.
„Dort. Eine Feuerleiter vor dem Fenster. Ich wusste es doch!“, rief Michael. Er stieß die Tür auf und trat in den Raum. Elizabeth folgte ihm zögernd, doch sie blieb dicht an seiner Seite, um zur Stelle zu sein, sollte sich der Raum als etwas anderes entpuppen, als was er zu sein schien.
Michael rüttelte enttäuscht am Fenstergriff. „Verdammt, es ist zu. Ich kann es nicht öffnen!“, zischte er. Wenn ich es einschlage, hören die Akoloythoi das bis auf die Straße.“
„Die Feuertreppe führt noch höher“, warf Elizabeth ein. „Vielleicht können wir im Stockwerk über uns das Fenster öffnen.“
Michael nickte. „Ja, vielleicht. Wir müssen es versuchen.“
Sie verließen den Raum und stiegen die Treppe bis zu ihrem Ende im zweiten Stockwerk empor. Auch hier sahen sie dieselbe Raumaufteilung, die sie bereits im Stockwerk darunter gesehen hatten und so öffneten sie vorsichtig die erste Tür.
Das Zimmer sah ebenso aus wie jenes, welches sie gerade verlassen hatten und doch war es vollkommen anders, denn es war keineswegs leer. Obgleich auch hier keinerlei Möbel standen, wirkte der Raum vollkommen anders, denn in seinem hintersten Winkel hockte ein Wesen und es konnte keinen Zweifel daran geben, dass dieses Wesen ein Engel war. Ganz still hockte er da, hatte seine Knie angezogen und die Arme um sich geschlungen. Die mächtigen Flügel hingen matt herab und das Gesicht war in einer Geste der Resignation zu Boden gesenkt. Ein eiskaltes, bläuliches Licht ging von diesem Engel aus, welches in einem merkwürdigen Kontrast zu dem rötlichen Flackern der brennenden Stadt außerhalb der Fenster stand. Noch immer hatte der Engel sich nicht bewegt und weder Michael noch Elizabeth waren sich sicher, ob sie überhaupt schon bemerkt worden waren.
Langsam, sehr langsam trat Michael zurück, um die Tür schließen zu können. Doch in diesem Augenblick kam Bewegung in den Engel. Er hob den Kopf und blickte die beiden Menschen direkt an.
„Wer seid ihr?“, fragte er tonlos.
Den beiden stockte unwillkürlich der Atem, denn das Gesicht dieses Engels war mit nichts zu vergleichen, was sie schon einmal gesehen hatten. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass dieser Engel weiblich war, doch zugleich lag etwas zutiefst kindliches in seinen Zügen. Es war Elizabeth, die sich schließlich zusammenriss.
„Elizabeth… und Michael“, stotterte sie unbeholfen.
„Elizabeth und Michael“, wiederholte der Engel sanft. „Ihr seid keine Sünderseelen. Ihr tragt das göttliche Feuer in euch. Zumindest ein wenig. Und doch dürftet ihr nicht hier sein.“
Michael schluckte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl ein Heiligtum betreten zu haben, ohne über das Recht dazu zu verfügen. „Wir wussten nicht, dass du hier bist“, stammelte er. „Wir waren auf der Flucht vor den Akoloythoi. Sie trauten sich nicht in dieses Haus…“
Für diese Worte hätte er sich ohrfeigen können. Warum gab er diesem Engel gegenüber zu, dass sie Flüchtlinge waren? Wäre es nicht besser gewesen, mit mehr Selbstbewusstsein aufzutreten? Doch dieser Engel hatte etwas an sich, was lügen schwer machte. Er hatte gar nicht anders gekonnt, als ehrlich und aufrichtig zu sein.
„Akoloythoi!“, zischte der Engel seltsam emotionslos. „Sie fürchten sich vor mir, denn wenn ich sie erwische, pflege ich sie zu töten. Sie sind Abschaum, weiter nichts!“
Michael und Elizabeth atmeten unwillkürlich auf. Zumindest in diesem Punkt war ihr Gegenüber offenbar nicht ihr Gegner.
„Aber das erklärt nicht, was euch in die Hölle verschlagen hat“, fuhr der Engel sanft fort. Er sah sie unverwandt an und nicht zum ersten Mal überkam Michael in Gegenwart eines Engels das Gefühl, einem Raubtier gegenüber zu stehen.
„Wir suchen jemanden…“, begann Elizabeth, doch Michael stieß ihr in die Rippen. Wenn herauskam, dass sie nicht die einzigen Menschen in der Hölle waren, war Eleanors Leben so gut wie verwirkt.
Der Engel legte den Kopf schief. Noch immer
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