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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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hatte er sich nicht erhoben oder gar die Zimmerecke verlassen, doch das musste er auch nicht. Michael und Elizabeth war vollkommen klar, dass sie gegen den Willen dieses Engels nirgendwohin gehen würden.
    „So, ihr sucht jemanden“, wiederholte der Engel. „Wer mag das sein?“
    Weder Michael noch Elizabeth antworteten darauf. Die Stille schien sich ins Unendliche ausdehnen zu wollen.
    „Nargal“, sagte der Engel schließlich. „Mein Name ist Nargal.“
    Dann erhob er sich und kam auf die beiden zu. Michael und Elizabeth stockte der Atem, denn der Engel war ungewöhnlich klein. Er war bestenfalls so groß wie Elizabeth und damit fast einen ganzen Kopf kleiner als Michael. Zudem hatte er, als er seinen Namen sagte, zum ersten Mal nicht geflüstert. Seine Stimme war tatsächlich die eines jungen Mädchens, jung und zugleich unfassbar verletzlich. So vollkommen anders als die Stimmen all jener Engel, die sich ihrer Macht wohl bewusst sind und nichts in diesem Universum wirklich fürchten müssen. Nargal war anders als alle Engel, mit denen die beiden bislang zu tun gehabt hatten.
    „Wir sind in deinem Toten Palast, stimmt‘s?“, stellte Elizabeth zaghaft fest. „Du lebst hier.“
    Nargal nickte traurig. „Ja. Meine Seele lebt hier. Mein Körper in der Welt der Lebenden auch, wenngleich ihr ihn dort nie finden würdet.“
    Michael stutzte. „So groß ist das Haus nun auch wieder nicht. Warum sollte man deinen Körper dort nicht finden können?“
    Nargal zögerte. Dann lächelte sie plötzlich listig. „Ihr wisst nicht, wo ihr hier seid, oder?“
    Michael und Elizabeth sahen einander verdutzt an, dann schüttelten sie beiden den Kopf.
    „Dieses Haus steht am Berkeley Square“, sagte Nargal.
    Wieder blickte Elizabeth verwirrt zu Michael, doch dieser war plötzlich vor Schreck wie erstarrt. „Nummer 50?“, hauchte er.
    Nargal nickte langsam und noch immer stand dieses amüsierte Lächeln in ihrem Gesicht, auf das sich Elizabeth keinen Reim machen konnte.
    „Berkeley Square 50?“, fragte sie Michael fast panisch. „Was ist da?“
    Michael schluckte, während er seinen Blick nicht von Nargal zu lösen vermochte. Diese blickte ihn an wie die Schlange das Kaninchen, mit einer Selbstsicherheit, die nur zu deutlich verriet, dass es für ihre Beute kein Entkommen gab.
    „Der Berkeley Square 50 ist eines der meist heimgesuchten Spukhäuser Englands“, hauchte Michael. „Heutzutage befindet sich im Erdgeschoss eine Buchhandlung. Aber im Treppenhaus hängt ein amtliches Warnschild, dass niemand das oberste Stockwerk allein betreten darf. Von diesem Haus sind Spukgeschichten im Umlauf, die dir die Haare zu Berge stehen ließen. Eine ganze Reihe Menschen haben dieses Haus als Wahnsinnige verlassen. Andere sind gestorben…“
    Michaels Stimme erstarb und noch immer blickte er Nargal an, unfähig seinen Blick von ihr zu lösen.
    „Und du steckst dahinter…!“, flüsterte Elizabeth entsetzt. Nargal wandte ihr ihren Blick zu.
    „So könnte man es sagen“, erwiderte sie leise. „Mein Körper ruht in der Brandmauer zum anliegenden Haus, hier in diesem Zimmer. Wenn ein Mensch ihm zu nahe kommt, kann er die Präsenz meiner Seele in diesem Zimmer manchmal so stark spüren, dass sich ein Tor in die Welt der Lebenden öffnet, durch welches man für einen kurzen Augenblick in die Hölle sehen kann… in meine Seele…“
    Michael erstarrte. „Das erklärt, warum die Überlebenden nicht beschreiben konnten, was sie gesehen haben!“, flüsterte er fassungslos. „Stattdessen wurden sie wahnsinnig.“
    „Machst du das mit Absicht?“, fragte Elizabeth schärfer als beabsichtig.
    Wieder legte Nargal den Kopf schief. „Was meinst du? Die Menschen in die Hölle blicken lassen?“
    Elizabeth nickte. In diesem Moment strahlte sie eine so große Fassungslosigkeit aus, dass Michael unwillkürlich fürchtete, Nargal würde es als Beleidigung empfinden. Doch tatsächlich schien sie es gar nicht zu registrieren.
    „Ich weiß es nicht“, erwiderte sie stattdessen fast emotionslos. „Wenn es so ist, dann sicher nicht mit böser Absicht. Ein Teil von mir hofft vielleicht, eines Tages durch jemanden von hier befreit zu werden…“
    In einer Geste der Hilflosigkeit breitete sie die Arme aus und sah sich im Zimmer um.
    Michael sah verstohlen zu Elizabeth hinüber. Dann stellte er zögernd die alles entscheidende Frage.
    „Wie stehst du zu uns Menschen?“
    Nargal zögerte keinen Augenblick. „Oh, ich hasse euch“, erwiderte

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