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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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vielleicht gab es ja auch noch andere, von denen ich nichts weiß. Vielleicht bist du so verletzt, dass es dir gleichgültig war, wen du in deiner Verzweiflung mit in den Tod reißt. Doch es war mutig von dir, deinem Herzen zu folgen und dein Leben aufs Spiel zu setzen, um Catherine Tregenna zu retten -«
    Aus heiterem Himmel fuhr in diesem Augenblick ein kalter Windstoß durch den Raum. Die Kerze flackerte auf und warf lange, gezackte Schatten auf Boden und Wände. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, sah die Reflexe der Flamme über das Muster des silbernen Ringes huschen, den Idriss mir angesteckt hatte, und versuchte, mein hämmerndes Herz zu beruhigen.
    »Nichts auf der Welt tut mehr weh als seine Liebe an jemanden zu verschwenden, der sie nicht erwidert. Doch Catherines Entscheidung, in Marokko zu bleiben, hatte nicht nur damit zu tun, dass sie dich nicht heiraten wollte oder dass sie sich in den Korsarenkapitän verliebt hatte.« Ich legte die Hand auf
den Teil des Bandes, der die Briefe zusammenhielt, damit die Silberfäden darin das Licht reflektieren konnten und die Rosen, Farne und Stechginsterblüten Cats ewiges Thema widerspiegelten. »Siehst du das, Robert? Es ist eine wundervolle Arbeit. Deine Cousine hatte ein echtes und obendrein sehr seltenes Talent. Siehst du die Wildrosen, den Stechginster? Erinnerst du dich an die Krone, die du für sie gemacht hast? Sie ja. Sie hat Cornwall immer im Herzen getragen, als sie an diesem fernen Ort lebte, doch wäre sie hier in Cornwall geblieben, hätte sie ihr Talent vergeudet. In Marokko wurde sie das, was sie sich immer erträumt hatte: eine Meisterstickerin. Willst du ihr diesen Traum wirklich nicht gönnen, Rob?«
    Ich zögerte. »Ich weiß auch nicht, warum ich das alles erzähle. Wahrscheinlich hat es ohnehin keinen Sinn. Entweder rede ich mit mir selbst, oder dir ist alles egal, bis auf deinen eigenen Schmerz. Trotzdem wollte ich versuchen, dir zu sagen, dass ich dich verstehe, teilweise zumindest, und dass das, was du durchgemacht hast, entsetzlich gewesen sein muss. Aber siehst du es nicht, Rob? Du hast Matty Pengelly gerettet - die liebenswerte, süße Matty -, die vermutlich glaubte, für immer in diesem fremden Land verloren zu sein. Du hast sie gerettet, und zusammen habt ihr ein neues Leben begonnen, ihr hattet Söhne. Du hast etwas ganz Außergewöhnliches getan, und ich bin sehr stolz auf dich.«
    Plötzlich fehlten mir die Worte, und ich saß da im Halbdunkel, wartete auf weiß Gott was und kam mir vor wie ein Esel. Durch das Velux-Fenster konnte ich gerade noch einen Streifen rotglühenden Himmel sehen. Bald wäre es dunkel.
    »Ich werde jetzt gehen. Es ist alles gesagt. Ich wollte dir nur die Briefe zurückbringen und dir meinen Respekt erweisen«, sagte ich leise und stand auf.
    Ich bin sicher - ziemlich sicher -, dass ich nicht gegen den Schreibtisch gestoßen bin, als ich aufstand. Doch genau in diesem Moment fiel die Kerze um und rollte, von den Gesetzen
der Schwerkraft getrieben, auf die Briefe zu, die auf der Stelle Feuer fingen und zischend in Flammen aufgingen. Ich stieß einen Schrei aus und ließ die Taschenlampe fallen. Ich sah die lodernden Flammen: erst tiefrot, dann orange und dann blassgold, fast weiß. Zwei Gedanken schossen mir durch den Kopf: dass ich Catherines besticktes Band retten musste, und dass wahrscheinlich der gesamte Dachboden, einschließlich mir, verbrennen würde. Doch genau in dieser Sekunde erlosch das Feuer ebenso rasch, wie es ausgebrochen war, und ich stand im Dunkeln.
    Mit zitternden Händen tastete ich nach der Taschenlampe und erwartete jeden Augenblick die eiskalte Hand eines Gespensts im Nacken. Doch nichts geschah. Gar nichts. Die Luft war still und kam mir wärmer vor, und endlich schlossen sich meine Finger auch um die Taschenlampe. Ich knipste sie an und richtete sie auf den Schreibtisch, um zu sehen, wie groß der Schaden war.
    Die Briefe waren verschwunden, bis auf den letzten Schnipsel; nur ein Häufchen kalter grauer Asche war zurückgeblieben. Mittendrin blitzte Catherines besticktes Band auf - unversehrt. Ich hob es vorsichtig auf; trotz der Metallfäden, die es durchzogen, war es nicht einmal warm. Wie war das möglich? Mein rationaler Verstand sagte mir, dass es vermutlich erheblich haltbarer war als Papier - besonders vierhundert Jahre altes Papier - aber trotzdem … Zitternd versprengte ich das Wasser und stellte die Kerze wieder auf. Dann warf ich mir im Gedenken an meine Mutter

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