Die Zehnte Gabe: Roman
als einer aus diesem glattzüngigen Kreis.«
Cat drückte routiniert die Falten der Halskrause gegeneinander, sammelte die Bänder ein und befestigte sie unsichtbar im Innern des kostbaren italienischen Brokats. »Ich glaube wirklich nicht, dass Sir Richard den weiten Weg von Bodmin bis hierher auf sich nimmt, nur um den Zustand des Irrgartens zu begutachten, Mylady«, sagte sie leise. »Oder die Tischwäsche, Motten hin, Motten her.«
Margaret Harris warf ihr ein rasches, nervöses Lächeln zu. »Natürlich hast du recht, Catherine. Wie auch immer, wir haben keinen Grund, uns zu schämen. Mein Haus ist vielleicht nicht das wohlhabendste weit und breit, aber diese Männer sind einflussreich und viel herumgekommen. Selbst wenn ihnen Kleinigkeiten nicht auffallen, kannst du sicher sein, dass sie einen Eindruck gewinnen, und ich bin davon überzeugt, dass sie Sir Arthur eher Gehör schenken und zur Seite stehen, wenn sie sehen, dass er ein solider Mann mit einem anständig geführten Haushalt ist.« Sie rang die Hände und trat zur Seite, um sich in einem hohen venezianischen Spiegel zu begutachten. »Sehe ich angemessen genug aus? Sehe ich gut aus, Catherine?«
Cat betrachtete ihre Herrin stumm. Es bestand kein Zweifel daran, dass Lady Harris absolut korrekt gekleidet war, aber der Stil ihres Kleids war langweilig und grässlich altmodisch, wenn man Wert darauf legte, der neuesten Mode zu folgen. Der Stoff
war kostbar und das Mieder mit kleinen Perlen besetzt, doch das Kleid war zu hochgeschlossen und der Rock zu weit. Heutzutage kleidete sich kein Mensch mehr so steif und formell, ganz zu schweigen von dem alten Wagenradkragen. Ihn zu waschen und zu stärken war eine lästige Plackerei, eine Aufgabe, die sie verabscheute. Doch diese Gedanken behielt sie für sich und nickte anerkennend. »Ihr seht in der Tat sehr gut aus, Mylady. Sir Arthur wird stolz auf Euch sein.«
Und das war zweifellos der Fall: Trotz der Tatsache, dass Sir Arthurs Pflichten als Gouverneur von St. Michael’s Mount ihn häufig von zuhause wegführten, liebte er seine Familie hingebungsvoll, und wann immer er sich in der Nähe seiner Frau befand, ruhte der Blick seiner umschatteten blauen Augen mit viel mehr Wärme auf ihr, als eine solch gesetzte und farblose Frau erwarten durfte. Es musste wohl stimmen, was Polly einmal über diese Ehe behauptet hatte, folgerte Cat: Nicht aus schierer Pflicht allein hatte sie so lange gehalten und acht gesunde Kinder und sechs bedauernswerte Totgeburten hervorgebracht.
Margaret Harris trat ans Fenster und ließ den Blick über das Land schweifen. Durch die Bäume hatte sie einen klaren Blick auf St. Michael’s Mount, der sich wie das legendäre Avalon aus der ruhigen See erhob. Die nahen Gewässer der Bucht schimmerten türkis, als die Sonne bis auf den hellen Sand davor fiel. Sie seufzte. »Ich wünschte, ich hätte diesen Ort nie gesehen«, sagte sie plötzlich heftig.
Cat starrte sie an; einen Augenblick war sie sprachlos. Sie wusste, dass es Margaret Harris’ Entscheidung gewesen war, hier auf Kenegie zu bleiben, statt in das Schloss auf dem Mount zu ziehen - eine Entscheidung, die Cat einfach nicht verstehen konnte. Kenegie war auf seine Art durchaus akzeptabel - mächtig und granitgrau, hoch in den Gulval-Hügeln gelegen, umgeben von schützenden Bäumen. Doch wenn sie - Cat - seine Gemahlin gewesen wäre, hätte sie verlangt, dass sie den Familiensitz auf der Stelle verließen und in das Schloss zogen. Dort hätte
sie stilvoll Hof in den weiträumigen Sälen gehalten, die Wände mit herrlichen Wandteppichen bedeckt und den langen Tisch verschwenderisch mit Leinen, Kristall und Silber geschmückt. Mit dem Schiff die Mount’s Bay zu überqueren, um anschließend in das majestätische Schloss auf dem höchsten Punkt der Insel zu fahren, hätte jeden Besucher beeindruckt, ganz gleich, wie welterfahren er sein mochte.
Einmal war sie dumm genug gewesen, dies ihrer Herrin zu sagen, und streng zurechtgewiesen worden. »Ich habe lernen müssen, dass es sehr schwer ist, sich in einem Schloss einzurichten, mein Liebes, vor allem auf dem Mount, denn er ist schroff, unzugänglich und extrem zugig. Außerdem kann man den Mount vom Land und vom Meer aus meilenweit sehen; das macht ihn zu einem natürlichen Angriffsziel für Feinde aus fremden Ländern. Seit ich denken kann, klagt mein Mann über seine mangelhafte Befestigung und Bewaffnung.« Bei diesen Worten war sie erschauert. »Glaub mir, Catherine, ich
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