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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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den Zement ausgebuddelt und Blumen, Bäume und Kräuter
gepflanzt. Eine Weile lang hatte das gereicht: harte körperliche Arbeit, die sie erschöpfte, ihre Zeit verschlang und sie an ein gemeinsames Projekt band, auf das sie beide stolz waren und in dem sie ihre schwierige Vergangenheit begraben konnten. Doch es war, als wäre die Renovierung des Dachbodens der letzte Strohhalm gewesen. Als sie damit fertig waren, hatte Andrew sich mehr und mehr zurückgezogen, war immer schweigsamer und gereizter geworden - ganz anders als der fröhliche, lärmende Andrew, den ich gekannt hatte. Er trank und vernachlässigte zuerst seine Familie, dann auch seine Arbeit. Er handelte im Internet mit Wertpapieren, und es dauerte nicht lange, bis es mit seinem Geschäft bergab ging und sich die Schulden häuften.
    »Ich habe es nicht kommen sehen«, schloss Alison. »Ich weiß, dass er depressiv war. Ich versuchte immer wieder, ihn zu einem Besuch beim Arzt zu überreden, aber er wollte nicht. Er sprach nicht mit mir, er sprach nicht mit seiner Schwester oder seinen Freunden, er sprach mit keinem Menschen. Er sagte immer nur, es habe alles keinen Sinn, was geschehen sei, sei nun mal geschehen, und niemand könne es ändern. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, bis heute nicht. Aber Selbstmord … Wie konnte ich nur so blind sein?«
    Ich schlang die Arme um sie, während sie laut vor sich hin schluchzte.
    »Ich vermisse ihn«, wimmerte sie. »Ich vermisse seinen Geruch im Haus. Ich vermisse sogar seine kalten Füße im Bett.«
    Schließlich löste sie sich von mir und putzte sich die rissige rote Nase.
    »Du hättest es bestimmt nicht verhindern können, Al, Schätzchen«, sagte ich. »Wie, um Himmels willen, kann man so etwas vorhersehen? Ich meine, Andrew wirkte nicht gerade wie jemand, der sich die Dinge allzu sehr zu Herzen nimmt.«
    Sie warf mir einen raschen Blick zu. »Das fand ich auch. Selbst als er mir einen Heiratsantrag machte, dachte ich, es wäre ein
Scherz.« Sie grinste schwach. »Im Grunde glaube ich es immer noch. Wir waren beide betrunken, und dann redeten plötzlich alle von nichts anderem. Wir ließen uns einfach von dem Strom mitreißen, dann wurde ich schwanger, und, na ja …«
    Vor dem Traualtar war sie im vierten Monat gewesen, aber außer Andrew, ihrer Mutter, ihrer besten Freundin Susie und mir hatte niemand davon gewusst. Das Kleid war im Empire-Stil gehalten, der Blumenstrauß sorgfältig platziert, und niemand machte anzügliche Witze. Und das war auch gut so, denn zwei Wochen später hatte sie eine Fehlgeburt gehabt. Sie wäre beinahe daran gestorben und hatte anschließend nie wieder auf natürliche Weise schwanger werden können.
    »Die Sache ist …«, setzte sie an und wandte dann den Blick ab, als wäre ihr das Eingeständnis unangenehm. »An dem Abend, als er … starb …, hatte ich versucht, ihn zu einer künstlichen Befruchtung zu überreden. Ich habe ihn nie so wütend gesehen. Ich dachte im Ernst, er würde mich schlagen. ›Versuch bloß nicht, mich auf diese Art reinzulegen!‹ hat er mich angeschrien. ›Reicht es nicht, dass du mich in diesem gottverlassenen Winkel der Welt eingesperrt hast, in diesem verdammten Haus? Müssen wir mit unseren Genen jetzt die ganze verfluchte Katastrophe auch noch an die nächste Generation weitergeben?‹ Und dann ist er aus dem Zimmer gestürmt und hat sich nach oben in seine Höhle zurückgezogen. Es war das Letzte, was er je zu mir gesagt hat. Als er nicht zum Abendessen kam, war ich nicht überrascht - ehrlich gesagt, ich war sogar erleichtert. Ich hätte es nicht ertragen, mich noch einmal mit ihm zu streiten. Ich stocherte in meinem Salat herum, ging früh zu Bett und schlief ein. Um drei Uhr morgens fuhr ich plötzlich auf, so wie es einem gelegentlich passiert. Mein Herz schlug derart schnell, dass ich kaum Luft bekam. Und da wusste ich es.« Sie drehte sich zu mir um. »Ich wusste es einfach. Und trotzdem konnte ich nicht hochgehen. Erst als es hell wurde.« Sie schluckte, fasste sich jedoch rasch wieder. »Der Gerichtsmediziner sagte,
er wäre schon vor Mitternacht gestorben, ich hätte also ohnehin nichts tun können. Aber ich fühle mich entsetzlich, weil ich nicht versucht habe, mich wieder mit ihm zu vertragen. Ich hätte ihm wenigstens sein übliches Glas Brandy nach oben bringen können. Irgendwas, egal, was …« Sie verstummte.
    Ich sah sie ratlos an. Sie wühlte in ihrer Tasche und förderte ein zerknülltes DIN-A 4 -Blatt zu Tage.
    »Es

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