Die Zehnte Gabe: Roman
wichtig. Ablehnung ist eine Beleidigung.«
Sie biss vorsichtig ab. Eine unvergleichliche Süße überschwemmte ihren Mund, sodass sie nach Luft schnappen musste. Es war völlig anders, als sie erwartet hatte, denn der Geschmack erinnerte sie erstaunlicherweise an die Mispeln, die die Köchin jeden Herbst im Obstgarten von Kenegie pflückte und einmachte. »O …« Dann steckte sie rasch den ganzen Rest auf einmal in den Mund.
Al-Andalusi sah ihr mit spöttisch erhobenen Brauen zu. »Wir nennen sie Feigen«, sagte er. »In manchen Traditionen war es die Frucht, die Eva für Adam vom Baum der Erkenntnis pflückte.«
»In der Bibel war es ein Apfel.«
»In unserer Tradition war es auch ein Apfel, so steht es im Koran. Und als Adam einen Bissen nahm, blieb er ihm im Hals stecken und machte einen Knoten. Heute haben ihn alle Männer.«
»Den Adamsapfel!«, rief Cat erstaunt. »So nennen wir ihn auch.«
»Vielleicht sind wir uns nicht so fremd, wie du glaubst.«
SECHZEHN
Der raïs sagt, daß unser Schiff in zwei Tagen in den Hafen von Sallee einlaufen wird. Was dann mit mir geschehen mag, weiß ich nicht. Der raïs ist wieder auf den Beinen & ich sehe ihn kaum. Man hat mich nicht nach unten zurückgeschickt, sondern in der Kajüte behalten. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht, daß er meiner Mutter erlauben würde, mir hier Gesellschaft zu leisten, doch hat er sich abgewandt & ich wage nicht, erneut zu fragen. Ich fürchte mich vor der Zukunft, wegen meiner dummen Lüge, daß wir aus einer reichen Familie stammen, die ein hohes Lösegeld zahlen kann, damit wir zurückkehren. Aber er droht mir auch damit, mich an den Sultan zu verkaufen, der so etwas wie ein König in ihrem Land ist; er sagt, ich werde einen guten Preis auf dem Markt von Sallee holen mit meinem roten Haar & der blassen Haut. Ich wünschte, ich hätte den Rat der alten Annie Badcock beherzigt und wäre mit Rob nach Kenegie zurückgekehrt …
W arum bist du einfach weggelaufen, Julia? Das sah ziemlich komisch aus.«
Ich sah sie ruhig an. »Ich ertrage es einfach nicht, in seiner Nähe zu sein.«
Alison machte ein mitfühlendes Gesicht. »Entschuldige. Dann habe ich es nur noch schlimmer gemacht, nicht wahr? Hör zu, wenn es dir lieber wäre, dass ich mich aus der Renovierung des Cottage raushalte, dann mache ich es. Es ist schließlich nur Geld.«
»Hat Andrew eigentlich viele Schulden hinterlassen?« Die Frage war mir unangenehm. »Vielleicht könnte ich dir ja helfen.«
Sie lächelte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wahrscheinlich ist es halb so schlimm, wie ich glaube. Ich habe mich noch nicht getraut, die Kontoauszüge anzusehen, ich hatte das Gefühl, dass ich noch nicht so weit bin. Ein kleiner Job wäre nicht schlecht, und wenn nur, um auf andere Gedanken zu kommen.«
»Natürlich musst du die Renovierung übernehmen, wenn du Lust dazu hast. Mach dir meinetwegen keine Gedanken.«
»Es ist nur, dass …« Sie wirkte verlegen. »Nun, vielleicht habe ich mich ein bisschen allzu sehr hinreißen lassen, als ich Michael erzählte, was man mit dem Cottage machen könnte. Er schien ja ziemlich angetan. Er hat sogar Anna angerufen; jetzt kommt sie morgen her, um darüber zu sprechen, was wir machen sollten.«
»Sie kommt hierher?« Ich war entsetzt. Hatte Michael vorgeschlagen, Anna nachzuholen, bevor er mich angerufen hatte oder danach? Falls vorher, musste er gewusst haben, dass es seine letzte Chance war, mich zu sehen, bevor sie kam. Falls danach … mir war schlecht. Wollte er sich auf diese Art vielleicht rächen, weil ich ihn hatte abblitzen lassen? Es gab natürlich einen handfesten Anlass, die Renovierung des Cottage, aber irgendetwas sagte mir, dass es noch andere, dunklere Gründe geben musste. »Weiß Anna, dass ich hier bin?«
»Äh … ja«, antwortete sie. »Als Michael vom Telefon zurückkam, bestellte er Grüße, und dass sie sich freuen würde, dich zu sehen.«
Kaltes Eisen durchbohrte mein Herz. »Ich kann nicht bleiben. Ich bringe es einfach nicht fertig.«
Alison rieb sich die Stirn. »Lieber Himmel, was für ein Durcheinander. Wäre es nicht besser, einen Schlussstrich zu ziehen? Versuchen, wieder normal miteinander umzugehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist zu früh. Ich kann ihr nicht in die Augen sehen. Ich bin einfach noch nicht stark genug.« Plötzlich zitterten meine Mundwinkel, und ich befürchtete, in Tränen auszubrechen.
Tatsächlich schossen sie mir im nächsten Augenblick aus den
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