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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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weinen.
    »Keine Angst vor dem Tee, Sie werden ihn mögen!«, sagte Bonnet. »Vertrauen Sie Pelay. Er ist ein guter Arzt!«
    »Lassen Sie sie bloß in Ruhe«, drohte Luc. Er erhob sich vom Stuhl und machte einen Schritt auf Bonnet zu, der sich trotz seines Sicherheitsabstands reflexartig zurücklehnte.
    Bonnet schüttelte resigniert den Kopf und zog seine Pistole. »Pelay, gib ihr einen Becher.« Er fixierte Sara und hielt ihr einen kurzen Vortrag, als wäre er ein Lehrer und sie ein Schulmädchen. »Wenn Sie den Becher fallen lassen, werde ich dem Professor in den Fuß schießen. Wenn Sie den Tee ausspucken, schieße ich ihm ins Knie. Ich werde ihn nicht umbringen, weil ich seine Hilfe brauche, aber ich werde ihm wehtun.«
    »Sara, hör nicht auf ihn!«, rief Luc.
    »Doch, Sara«, sagte Bonnet. »Sie sollten auf mich hören.«
    Mit zitternden Händen hob sie den Becher langsam an ihre bebenden Lippen.
    »Sara!«, schrie Luc auf. »Tu’s nicht!«
    Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf und trank den Becher in einer Reihe von kleinen Schlucken aus.
    »Exzellent!«, sagte Bonnet. »Sehen Sie, er schmeckt ganz gut. Jetzt sind Sie an der Reihe, Professor.«
    »Ich werde es nicht tun«, sagte Luc bestimmt. »Sara, wenn ich das trinke, kann ich dich nicht mehr beschützen.«
    »Nun machen Sie es mir doch nicht so schwer«, sagte Bonnet und zielte auf Sara. »Soll ich sie jetzt erschießen, weil Sie nicht kooperieren? Trinken Sie einfach den Tee und bringen Sie es hinter sich.«
    Luc verzog gequält das Gesicht. Bonnet war durchaus dazu fähig, Sara kaltblütig zu erschießen. Schließlich hatte er seine Gewaltbereitschaft hinlänglich unter Beweis gestellt. Aber wenn Luc ihm nachgab und den Tee trank, würde er die einzige Waffe aufgeben, die ihm noch geblieben war: seinen Verstand. Er verwünschte sich selbst, dass er ohne die Gendarmerie hierhergekommen war. Diese Entscheidung stellte sich nun als ein tragischer Fehler heraus.
    Sara ergriff seine freie Hand, und er ließ es geschehen. Sie drückte seine Finger und zuckte plötzlich zusammen, als wäre ihr etwas eingefallen. »Lassen Sie mich eine Minute mit ihm allein«, sagte sie zu Bonnet. »Ich werde ihn überreden.«
    »Nun gut. Eine Minute. Warum nicht?« Er stand auf und ging hinüber zu Pelay, der Sara lüstern anstarrte. Sie beugte sich zu Luc hinüber, kam aber nicht nahe genug an ihn heran, um sicher zu sein, dass niemand hörte, was sie sagte.
    »Was hast du vor?«, fragte Luc.
    »Tu es, trink das«, flüsterte sie.
    »Warum?«, flüsterte er zurück.
    »Vertraust du mir?«
    »Ja, natürlich.«
    »Vertraust du mir auch als Wissenschaftlerin?«
    »Ja, Sara, ich vertraue dir auch als Wissenschaftlerin.«
    »Dann trink ihn.«
    Pelay schlich sich nah genug heran, um Luc den Becher zu geben, und zog sich schnell wieder zurück.
    Während Sara ihm aufmunternd zunickte, warf er den Kopf in den Nacken und trank den Becher in einem Zug aus.
    »Na also«, sagte Bonnet zufrieden, bevor er sich wieder an Pelay wandte: »Pass du auf unsere Schäfchen auf, während ich hier bei unseren Freunden bleibe.«
    Als er sich wieder setzte, ließ sich auch Luc mit einem besiegten Ausdruck im Gesicht zurück auf seinen Stuhl fallen.
    »Irgendwie ist das schon komisch«, sagte Bonnet. »Wir mussten Sie zu etwas zwingen, das wir selbst bereitwillig und dankbar tun. Das Leben ist manchmal doch recht seltsam, nicht wahr?«
    Luc verzog verächtlich das Gesicht. »Wissen Sie, was wirklich seltsam ist, Bonnet? Dass Sie vorgeben, zivilisiert zu sein, wenn Sie in Wirklichkeit ein dreckiger, hinterhältiger Mörder sind.«
    Der alte Mann zog eine Augenbraue hoch. »Ich soll ein Mörder sein? Das bin ich nicht, Monsieur! Ich beschütze lediglich meine Familie und mein Heimatdorf. In meinem nun wirklich ziemlich langen Leben habe ich nämlich eines gelernt: Wenn man nicht auf sich selbst aufpasst, dann tut es keiner. Und wenn das bedeutet, Feinde aus dem Weg zu räumen, dann muss es eben so sein. Ruac ist ein besonderer Ort. Er ist wie eine seltene, empfindliche Blume in einem temperierten Gewächshaus. Wenn da der Thermostat verstellt wird und die Temperatur nur um ein einziges Grad steigt oder fällt, dann stirbt diese Blume. Ihr kommt hierher mit euren Wissenschaftlern und euren Studenten und euren Kameras und euren Laptops, und alles, was ihr tut, ist, an diesem Thermostat zu drehen. Wenn wir das zulassen, wird unsere Art zu leben zugrunde gehen. Wir werden sterben. Für uns ist es also eine

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