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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Das heißt, dass wir nichts berühren und dass du nur dort hintrittst, wo ich hintrete. Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, frag mich. Und zünde dir auf gar keinen Fall einen von deinen stinkenden Zigarillos an.«
    »Meine Güte, Luc, ich bin doch kein Idiot.«
    Luc klopfte ihm scherzhaft auf die Schulter. »Hast du nicht vorhin noch lauthals das Gegenteil verkündet? Aber jetzt lass uns gehen.«
    Bald schwand auch der letzte Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um die Höhle aus dem Manuskript handelte. Rasch hintereinander fanden sie drei Bilder – ein Pferd, ein Hirsch und ein getüpfelter Stier –, die denen in Frater Barthomieus Buch genau glichen.
    Vorsichtig drang Luc weiter ins Innere der Höhle vor und leuchtete jedes Mal, bevor er einen Schritt tat, den mit Fledermauskot verkrusteten Boden ab, um nicht versehentlich auf etwas zu treten. Über ihren Köpfen ließen unzählige Fledermäuse ihr schrilles Protestgeschrei hören. Die Luft war so miserabel, dass man nur mühsam atmen konnte. Hugo drückte sich sein Taschentuch über Mund und Nase, um sich vor dem beißenden Ammoniakgestank des Fledermausurins zu schützen.
    »Ist das gesundheitsgefährdend?«, fragte Hugo, der in der feuchtkalten Höhle zu frieren begann.
    Luc wollte sich jetzt nicht ablenken lassen und sagte nur: »Das mit dem Taschentuch ist keine schlechte Idee.«
    Bei jedem zweiten Schritt machte Luc ein Foto mit seiner Leica und überprüfte die Aufnahme auf dem LCD-Display der Kamera – fast, als wollte er sich vergewissern, dass das alles nicht nur in seiner Phantasie existierte.
    »Sieh dir nur mal diese Pferde an, Hugo! Wie der Künstler ihre Bewegung festgehalten hat! Das zeugt von einem tiefen Verständnis von Anatomie. Und einer hochentwickelten Maltechnik. Siehst du, wie dieses hier die Beine kreuzt? Um so etwas zu malen, muss man eine Menge von Perspektive verstehen. Diese Zeichnungen sind künstlerisch auf einem ganz anderen Niveau als die in Lascaux. Das ist schlichtweg unglaublich. Da, diese Löwen! Ihre Gesichter wirken so geduldig und weise.«
    »Was meinst du, wie alt die sind?«, fragte Hugo.
    »Schwer zu sagen. Lascaux wurde vor achtzehntausend Jahren gemalt, aber die hier verwendete Technik scheint viel fortgeschrittener zu sein. Auch wurde eine breitere Palette von Pigmenten benutzt: Holzkohle, Graphit, farbige Tonerden, rotes und gelbes Eisenoxid, Mangan. Die Vermutung liegt also nahe, dass diese Malereien jüngeren Datums sein dürften.«
    Das Ende der ersten Kammer wurde vom phantasievollen Bild eines Mammuts markiert, dessen riesigen, bis weit unterhalb der Beine reichenden Rüssel Luc schon vorhin entdeckt hatte. Neben dem Mammut führte ein schmaler Durchgang mit niedriger Decke in einen anderen Teil der Höhle. Er war gerade hoch genug, um gebückt hindurchgehen zu können.
    Im Durchgang selbst fand sich nur ein einziges Ornament – das Negativ zweier menschlicher Hände, die, von rötlichem Ocker umgeben, offenbar als Schablonen gedient hatten.
    »Ob das die Hände des Künstlers sind?«, überlegte Luc ehrfürchtig. Er wollte Hugo gerade die hier verwendete Schablonentechnik erklären, als der Strahl seiner Taschenlampe in eine weitere Kammer der Höhle drang. »Sieh dir das an!«, stieß er hervor. »Mein Gott, sieh dir das an!«
    Der neue Höhlenraum war noch größer als der, den sie soeben hinter sich gelassen hatten, aber es waren die Bilder an den Wänden, die Luc den Atem raubten.
    Dutzende schwarzer und brauner Wisente, jedes einen guten Meter lang, jagten mit wallenden Mähnen und sich kreuzenden Beinen über zwei der Wände, sodass Luc und Hugo die Köpfe drehen mussten, um die ganze Herde erfassen zu können. Dadurch stellte sich eine verblüffende Illusion von Bewegung ein, und es fehlte nicht viel, und die beiden hätten geglaubt, den Donner der Hufe zu hören und den heißen Atem über den Bärten der schweren Tiere in die kalte Luft der Höhle aufsteigen zu sehen.
    »Das ist wirklich einzigartig …«, murmelte Luc und verstummte, als er links von der Herde eine einzelne menschliche Figur entdeckte.
    »Das ist er!«, rief Hugo durch sein Taschentuch, der die Figur gleichzeitig mit seinem Freund gesehen hatte. »Das ist unser Mann!«
    Er hatte recht. Es war der Mann mit dem Vogelkopf, den Frater Barthomieu in seinem Manuskript wiedergegeben hatte: mit spindeldürren, in vierfingrigen Händen endenden Armen, stangenlangen Beinen, deren kanuförmige Füße viel zu groß waren, und mit

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