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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Straucheln und verlor fast das Gleichgewicht, während er seine eigene Stimme krächzen hörte: »Oh Gott! Das darf doch nicht wahr sein!«

SECHS
    Alles um Luc herum schien in Bewegung zu sein.
    Er fühlte sich eingekreist von einer Meute, die in wilder Hatz um ihn herumrannte.
    Atemlos ließ er den Strahl der Taschenlampe über die ockerfarbenen Wände und die Tropfsteine wandern. Der Lichtstrahl erweckte die Malereien an den Wänden der Höhle zum Leben. Links von Luc befand sich eine wildgaloppierende Herde von Pferden, die mit dicken Holzkohlestrichen an die Wand gezeichnet waren. Die riesigen Tiere hatten ihre Mäuler aufgerissen und schüttelten die Mähnen.
    Rechts von Luc donnerten Wisente mit erhobenen Schwänzen und gespaltenen Hufen über eine angedeutete Ebene, ihre kräftigen Körper waren im Gegensatz zu den schwarzgetüpfelten Pferden rotbraun.
    Direkt über seinem Kopf erkannte Luc einen einzelnen, gigantischen Stier mit riesigen Hoden, der direkt in die Höhle zu rennen schien, die Hörner zum Angriff gesenkt und die Nüstern vor blinder Wut gebläht.
    Umgeben war das schwarze Tier von großen Hirschen mit weit ausladenden Geweihen. Sie hatten die Köpfe in den Nacken gelegt, die Mäuler aufgerissen und verdrehten die Augen, als würden sie gerade in einem lauten Brunftschrei röhren.
    Und dann gab es noch sehr viel phantastischere Wesen, die Luc im Strahl seiner Taschenlampe eines nach dem anderen bewunderte. Die Höhle wimmelte nur so von Löwen, Bären und Rehen, alle in leuchtenden Farben, so wunderbar leuchtenden Farben, und was lugte da hinter diesem Felsvorsprung hervor? Der Rüssel eines Mammuts?
    Luc stand wie angewurzelt in der Mitte der Höhle. Erst nach einer ganzen Weile nahm er die Schreie war, die von unten heraufdrangen.
    Jetzt wurde Luc auch erst bewusst, dass er am ganzen Körper zitterte und ihm die Tränen in den Augen standen. Das hier war keine gewöhnliche Entdeckung. Diese Höhle konnte sich mit dem Tal der Könige oder Schliemanns Troja messen.
    Im Eingang der Höhle allein befanden sich bereits Dutzende der großartigsten prähistorischen Malereien, die Luc je gesehen hatte: fast lebensgroße Tiere, in meisterhaft naturalistischem Stil abgebildet. In der berühmten Höhle von Lascaux hatte man an die neunhundert Zeichnungen von Tieren gefunden, und hier gab es direkt am Eingang schon an die zweihundertfünfzig. Was mochte wohl jenseits des Lichtkreises der Taschenlampe noch verborgen sein? War das hier vielleicht nur der Anfang?
    Luc wurde sich der Bedeutung seiner Entdeckung nun voll bewusst. Möglicherweise war er gerade auf eine Höhle gestoßen, die Lascaux oder Chauvet in den Schatten stellen würde. Bisher hatte Luc seine Zukunft nie geplant. Beruflich wie privat hatte er die Dinge immer so genommen, wie sie kamen. Aber jetzt, in diesem ebenso beglückenden wie erschreckenden Moment, wurde ihm klar, dass er den Rest seines Forscherlebens hier verbringen würde, in dieser Höhle in der Nähe von Ruac.
    Er ging zurück zum Eingang, streckte den Kopf hinaus in die frische Luft und musste die Augen schließen, als ihn der Strahl von Hugos Taschenlampe traf.
    »Gott sei Dank ist dir nichts passiert!«, schrie Hugo. »Warum hast du mir nicht geantwortet?«
    »Komm rauf und sieh dir das an«, war alles, was Luc herausbrachte.
    »Was denn? Hast du was gefunden?«
    »Das ist Barthomieus Höhle!«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, sie muss es sein. Kletter genauso hinauf wie ich vorhin, aber sei vorsichtig. Und glaub mir, mein Freund: Was dich hier oben erwartet, wird dein Leben verändern.«

SIEBEN
    Die Zeit schien auf einmal verrückt zu spielen.
    Sie stand gleichzeitig still und verging doch in rasender Geschwindigkeit. Für Luc wurde diese Nacht zur längsten und gleichzeitig zur kürzesten seines ganzen Lebens. Wenn er später versuchte, es jemandem zu erklären, stieß er häufig auf stirnrunzelndes Unverständnis. »Glaubt mir, es war wirklich so«, sagte er dann immer.
    Als Hugo oben in der Höhle angekommen war, hatte Luc ihn angewiesen, sich nicht zu rühren, bis er ihre Rucksäcke geholt hatte. Nachdem er zwei Mal die Wand hinab-und wieder hinaufgeklettert war, stellte er sich neben seinen Freund, richtete den Lichtkegel der Lampe hinauf an die Höhlendecke und hielt einen kurzen Vortrag.
    »Dies hier ist eine archäologische Stätte von höchster Bedeutung«, sagte er feierlich. »Ein nationales Heiligtum, ein Erbe der Menschheit. Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen.

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