Die zehnte Kammer
ist denn mit der passiert?«
Luc kroch in seinen Schlafsack. »Bei ihr war das etwas anderes. Blöde Geschichte.«
»Hast du sie verlassen?«
»Im Gegenteil. Sie hat mich zum Teufel gejagt, und das hatte ich auch verdient. Ich war ein Idiot.«
»Willkommen im Club. Dann sind wir also schon zwei Idioten. Und dass wir unter freiem Himmel auf einem Felsvorsprung campieren, von dem wir jeden Augenblick in den Tod stürzen können, spricht auch nicht gerade für unsere Intelligenz.« Hugo zog den Reißverschluss seines Schlafsackes hoch. »Ich werde jetzt schlafen und den ganzen Jammer vergessen. Wenn ich morgen nicht mehr da bin, dann musste ich mal pinkeln und habe vergessen, wo ich war.«
In bemerkenswert kurzer Zeit fing Hugo an zu schnarchen. Luc starrte trübsinnig hinauf in den Himmel und versuchte vergeblich, durch die dichte Wolkendecke einen Stern zu entdecken.
Kurz bevor ihm die Augen zufielen, meinte er schwarze Schatten in raschen Zickzack-Bewegungen über seinen Kopf hinweghuschen zu sehen. Zuerst glaubte er, er würde träumen, aber dann begriff er, was es war, und wurde auf einen Schlag wieder nüchtern: Fledermäuse.
Rasch öffnete er den Reißverschluss seines Schlafsacks, griff nach der Taschenlampe und richtete ihren Lichtstrahl nach oben. Dutzende von Fledermäusen flatterten über ihrem Nachtlager herum.
Dann lenkte Luc das Licht auf die Felswand und wartete, bis er eine Fledermaus entdeckte, die geradewegs darauf zuflog und verschwand. Kurz danach folgten ihr eine zweite und eine dritte.
Dort oben musste es eine Höhle geben!
Luc weckte Hugo, der schlaftrunken wissen wollte, was denn los sei.
»Ich glaube, ich habe die Höhle gefunden«, sagte Luc. »Ich kann nicht bis morgen warten, ich klettere hinauf. Du musst hier warten, bis ich oben bin. Falls ich nicht wiederkomme, holst du Hilfe.«
»Du bist wahnsinnig«, sagte Hugo.
»Kann schon sein«, stimmte Luc zu. »Leuchte mit deiner Taschenlampe die Wand hinauf, während ich klettere. Sieht nicht allzu schwierig aus.«
»Herrgott, Luc. Warte doch bis morgen.«
»Keine Chance.« Luc zeigte Hugo, wohin er leuchten sollte, und suchte sich einen Halt an der Felswand. Die deutlich hervortretenden Gesteinsschichten bildeten fast eine natürliche Leiter, an der er relativ problemlos nach oben steigen konnte.
Nach ein paar Minuten hatte Luc die Stelle erreicht, an der die Fledermäuse in der Wand verschwunden waren, fand aber weder eine Felsspalte noch einen Höhleneingang. Weil er einen halbwegs sicheren Stand hatte, konnte er seine eigene Taschenlampe aus der Jackentasche holen und die Wand neben sich ableuchten. Auf einmal schoss eine Fledermaus so nahe an seinem Kopf aus der Felswand, dass er vor Schreck fast den Halt verloren hätte.
Luc hielt sich fest und atmete tief durch. Er leuchtete weiter die Wand ab und entdeckte einen Spalt, der nur ein paar Zentimeter breit war. Nachdem er die Taschenlampe in die linke Hand genommen hatte, steckte er die rechte in den Spalt und spürte einen flachen Stein, der sich ein Stück weit bewegen ließ. Luc erkannte sofort, was es war: eine kunstvoll aufgeschichtete Wand aus Steinen, die von unten genauso aussah wie die natürlichen Gesteinsschichten der Felswand.
Es kostete ihn einige Kraft, den Stein zu lösen und neben sich auf den schmalen Felssims zu legen, auf dem er stand. Dann informierte er Hugo über seinen Fund und rief ihm zu, er solle zur Seite treten, falls einer der Steine herunterfallen sollte. Die anderen Steine ließen sich leichter entfernen, aber bald wurde der Platz auf dem Felssims knapp. Luc schob nun die losen Steine ins Innere der Öffnung. Als sie breit genug war, um sich hindurchzuzwängen, rief er Hugo zu: »Ich gehe rein!«
»Bist du sicher, dass das so eine gute Idee ist?«, wollte Hugo wissen.
»Nichts kann mich davon abhalten«, erwiderte Luc trotzig, bevor er Kopf und Schultern in das Loch steckte. Von unten beobachtete Hugo im Schein der Taschenlampe, wie sein Freund in der Felswand verschwand.
»Alles in Ordnung?«, rief er nach oben. Luc hörte ihn, antwortete aber nicht. Er kroch auf allen vieren weiter in die Höhle hinein, bis sie hoch genug war, um sich aufzurichten. Er hob seine Taschenlampe und leuchtete damit in einem weiten Bogen nach vorne. Eine ganze Kolonie von Fledermäusen löste sich von den Wänden und flatterte hektisch auf den Ausgang zu. Und dann wurden Luc auf einmal die Knie weich, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Er geriet ins
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