Die zehnte Kammer
»Ich kann Ihren Vater durchaus verstehen.«
»So wie er denken die meisten hier im Dorf, deshalb ist er auch seit Urzeiten der Bürgermeister. Aber ich – genauer gesagt: mein Bruder und ich –, wir sind da aufgeschlossener. Wir freuen uns, dass Sie hier eine neue Höhle entdeckt haben. Wenn man sich vorstellt, wie oft wir schon direkt daran vorbeigelaufen sind …«
»Falls Sie möchten, kann ich Ihnen die Höhle gerne zeigen«, bot Luc an. »Sie wissen gar nicht, wie sehr mir an der Unterstützung des Dorfes gelegen wäre. Die Höhle ist zwar ein nationales Monument, aber zunächst einmal ist sie ein Kleinod für diese Gegend hier. Wenn die hiesigen Einwohner uns von Anfang an unterstützen würden, könnten sie auch viel besser mitreden, wenn es darum geht, was mit der Höhle in Zukunft geschieht.«
»Wir würden sie sehr gerne sehen, nicht wahr, Jacques?«, fragte Odile, und ihr Bruder nickte automatisch. »Wir arbeiten auch gerne als freiwillige Helfer bei Ihnen mit. Jacques kann kräftig zupacken, und ich könnte Ihnen bei der Büroarbeit helfen oder kochen. Egal, was.«
Es klopfte, und als Luc öffnete, stand Hugo mit einer Magnumflasche Champagner in der Hand vor der Tür.
»Da bin ich!«, rief er fröhlich, aber als er sah, dass Luc Gäste hatte, entschuldigte er sich und fragte, ob er später wiederkommen solle.
»Nein, komm nur herein! Erinnerst du dich an das nette Paar aus dem Café von Ruac?«
Hugo trat ein und ließ sich die beiden vorstellen. Als ihm klar wurde, dass Jacques Odiles Bruder war, bekam er leuchtende Augen und behauptete, er habe die Flasche Champagner extra für sie mitgebracht. Sie plauderten eine Weile, dann sagte Odile, sie müssten jetzt gehen.
»Ihr Angebot von vorhin nehme ich übrigens gern an«, sagte Luc zum Abschied. »Es wäre sehr schön, wenn Sie uns ein wenig helfen. Die Arbeitsplätze in der Höhle sind zwar schon alle vergeben, aber auch hier im Lager gibt es viel zu tun. Kommen Sie, wann Sie wollen. Pierre, der Sie zu mir gebracht hat, wird sich um Sie kümmern.«
Diesmal war das Lächeln, das Odile Hugo im Fortgehen schenkte, ziemlich eindeutig. Luc spürte die Luft zwischen den beiden knistern wie unter einer Hochspannungsleitung.
»Wenn ich gewusst hätte, dass sie hier ist, wäre ich schon gestern gekommen«, sagte Hugo, als die beiden Bonnets weg waren, und sah sich in Lucs beengtem Wohnwagen um. »Hier haust also der berühmte Luc Simard, Mitentdecker der Höhle von Ruac? Nicht gerade Versailles, muss ich sagen. Wo schlafe ich denn?«
Luc deutete auf eine einfache Koje am anderen Ende des Wohnwagens, auf der ein Satz frischer Bettwäsche lag. »Da drüben«, sagte er. »Trink einen Cognac und wag es ja nicht, dich zu beklagen.«
Zvi Alon schnappte sich Jeremy in der Küche, wo der Student sich gerade eine Tasse Tee aufbrühen wollte.
»Luc hat vorhin gesagt, dass ich heute Nacht kurz mal allein in die Höhle darf«, sagte der kahlköpfige Mann. »Geben Sie mir den Schlüssel.«
Jeremy, der großen Respekt vor dem berühmten Wissenschaftler hatte, wagte es nicht zu widersprechen.
»Selbstverständlich, Professor Alon«, antwortete er. »Soll ich mitgehen und Ihnen aufsperren? Der Weg zur Höhle ist in der Dunkelheit nicht ganz einfach.«
Alon streckte ihm die Hand hin. »Das schaffe ich schon, junger Mann«, sagte er, während seine Gelenke hörbar knackten. »Als ich so alt war wie Sie, war ich bereits Panzerkommandant auf dem Sinai.«
Luc erzählte Hugo, wie der erste Tag gelaufen war, als er plötzlich merkte, dass sein Freund ihm überhaupt nicht zuhörte. Er hielt inne und fragte: »Was ist denn mit dir los?«
»Wie kommt’s, dass du mich gar nicht nach dem Manuskript fragst?«, erwiderte Hugo.
»Gibt es da etwa Fortschritte?«
»Ich schätze mal, dass du noch nie etwas von der Cäsar-Verschlüsselung gehört hast, oder?«
Luc schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Nun, das ist eine ziemlich einfache Geheimschrift, die der alte Cäsar für seine Nachrichten benutzt hat. Sie ist so einfach zu knacken, dass dein Feind schon Analphabet sein muss, um nicht dahinterzukommen. Sie beruht darauf, dass man jeden Buchstaben um eine bestimmte Anzahl von Stellen im Alphabet verschiebt. Sind es zum Beispiel drei Stellen, wird aus einem A ein D, aus einem B ein E und so weiter. Da die Mehrheit von Cäsars Feinden nicht einmal richtig Latein lesen konnte, hat das zu seiner Zeit ziemlich gut geklappt. Heute allerdings haben wir schon etwas
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