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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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man dir lassen.«
    Luc hielt sich von Sara fern, bis sie fast am Ende der Führung angelangt waren. Erst als sie Kammer 9 erreicht hatten, schickte er die anderen an ihre Arbeit und bat Sara, noch kurz bei ihm zu bleiben. Während die Kollegen in ihren Schutzanzügen wie unförmige Marsmenschen aussahen, stand Sara ihrer unverschämt gut. Sicher, Haute Couture war er nicht, aber irgendwie wirkte er an ihr seltsam elegant.
    »Na, wie gefällt es dir hier?«, fragte er.
    »Gut.« Ihre Augen leuchteten noch vom Anblick der vielen Bilder. »Wirklich gut.«
    »Wenn du willst, mache ich eine private Führung für dich. Bist du bereit, mit mir auf allen vieren in die zehnte Kammer zu kriechen?«
    »Dafür krieche ich auch eine ganze Meile, wenn es sein muss. Aber sag mir erst, ob es da viele Fledermäuse gibt.«
    »Die dürften inzwischen alle weg sein. Unser Freund Desnoyers meint, das liegt an unserer Anwesenheit.«
    Sie warf einen skeptischen Blick hinauf zu den Fledermäusen über ihnen an der Höhlendecke. »Wenn du meinst«, sagte sie. »Dann lass uns loskriechen.«
    Morans Gummimatten erleichterten ihnen den Durchgang auf allen vieren. Luc kroch voraus, und Sara folgte ihm. Als sie sich auf der anderen Seite wieder aufrichteten, wurde Sara fast schwindelig beim Anblick der vielen Handnegative an den kuppelartigen Wänden, leuchtend hell wie Sterne in einer mondlosen Nacht. »Ich habe das alles zwar schon auf deinen Fotos gesehen, Luc, aber in echt haut es mich wirklich um.«
    »Das ist nur ein Vorspiel. Komm mit.«
    In der letzten Kammer der Höhle stand nur ein Stativ mit einem einzigen Halogenstrahler, der gleißend helles Licht an die Wände warf. Luc sah, wie Sara weiche Knie bekam, und schlang ihr instinktiv einen Arm um die Taille, um sie zu stützen. Sie machte sich los, flüsterte ein gereiztes »Alles okay« und richtete sich wieder auf. Dann fing sie an, sich langsam einmal im Kreis zu drehen, bis sie die gesamte Kammer gesehen hatte. Sie erinnerte Luc dabei an die kleine Ballerina auf einer Spieldose seiner Mutter. Als Sara wieder stehen blieb, sagte sie nur: »Es ist alles so grün.«
    »Stimmt. Das ist nicht nur die erste Pflanzendarstellung im Jungpaläolithikum, sondern auch die einzige bisher bekannte Verwendung von grünen Pigmenten aus dieser Zeit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Malachit ist, aber das werden wir noch genauer untersuchen müssen. Die Brauntöne und die roten Beeren sind ohne Zweifel aus Eisenoxid.«
    »Sieh dir nur die Gräser an«, staunte sie. »Sie passen genau in die Steppenlandschaft, die es in der Trockenperiode der Aurignac-Zeit hier gegeben hat. Und dieser Schnabelmann, der mitten im Gras steht wie eine gigantische Vogelscheuche, ist einfach unglaublich.«
    »Der ist mein neuer Freund«, bemerkte Luc trocken. »Was sagst du zu den anderen Pflanzen?«
    »Genau die machen diese Höhle so interessant. Die Abbildungen im Manuskript sind realistischer als die Bilder hier, aber mir scheint, wir haben es hauptsächlich mit zwei verschiedenen Gattungen zu tun.« Sie deutete nach rechts. »Das hier ist ein Strauch mit roten Beeren. Das Blattmuster ist fast impressionistisch gemalt und ziemlich unscharf, siehst du? Hier? Und hier? Im Manuskript haben die Sträucher ganz deutlich fünfgliedrige Blätter, die spiralförmig auf dem Stiel angeordnet sind. Wenn du mich fragst, was das sein könnte, würde ich auf Ribes rubrum tippen, die rote Johannisbeere. Eine einheimische westeuropäische Pflanze.« Nun deutete sie nach links. »Und dann haben wir da noch diese Schlingpflanzen. Auch die sind im Manuskript viel klarer wiedergegeben. Lange Stiele und spitze Blätter, die auf Convolvulus arvensis hindeuten könnten, die europäische Ackerwinde. Eigentlich ein Unkraut, das aber im Sommer hübsche, kleine rosa und weiße Blüten bekommt, die hier an der Wand allerdings nicht zu sehen sind.«
    »Dann lautet dein Urteil also Gras, Unkraut und rote Johannisbeere?«
    »Ein Urteil kann man es wohl kaum nennen«, erwiderte sie. »Höchstens einen ersten Eindruck. Wann kann ich mit der Arbeit an den Pollen anfangen?«
    »Morgen früh. Sieht ganz so aus, als wärst du froh, dass du hier bist.«
    »In beruflicher Hinsicht schon.«
    »Nur in beruflicher Hinsicht?«
    »Herrgott, Luc. Natürlich nur beruflich.«
    Er drehte sich verlegen weg und deutete auf die Kammer mit den Händen. »Geh schon mal vor, ich hole noch die Lampe.«
     
    Die Stimmung war feierlich. Es war zwar kühl, aber da es

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