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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Koje. Sara hatte sich einen Stuhl danebengestellt und trank mit Luc seine letzte Flasche Bourbon aus.
    Er zog die Hände hinter seinem Kopf hervor und knackte mit den Fingerknöcheln. »Hast du viele Freunde?«, fragte er. Seine Zunge war schwer vom Alkohol.
    »Wie meinst du das, Freunde?«
    »Na ja, Freunde eben. In deinem Fall vielleicht eher Freundinnen. Nichts Sexuelles, meine ich.«
    Sie lachte über seine ausführliche Erklärung. »Ja, ziemlich viele«, antwortete sie.
    »Ich habe überhaupt keine Freunde«, sagte Luc traurig. »Ich glaube, Hugo war der einzige, den ich hatte. Kannst du mir sagen, warum das so ist? Immerhin kennst du mich doch ein bisschen.«
    »Ich kannte dich«, erwiderte Sara.
    »Nein, du kennst mich immer noch«, beharrte er. »So sehr habe ich mich nicht verändert.«
    »Wenn das so ist, dann schätze ich mal, dass du zu viel Zeit mit Frauen und deiner Arbeit verbringst, um Freunde zu haben.«
    Er drehte sich auf die Seite und sah sie an. »Ich glaube, du hast recht! Frauen und Arbeit, Arbeit und Frauen. Das ist auf Dauer nicht gesund. Ein Barhocker braucht drei Beine, damit er nicht umfällt, oder?« Er begann sich zu verhaspeln. »Ich glaube, Hugo war dabei, mein drittes Bein zu werden. Unsere Freundschaft fing gerade wieder richtig an, und jetzt ist Hugo tot. Der Schweinehund ist gegen einen Baum gefahren.« Er streckte seine Arme nach Sara aus.
    »Das ist keine gute Idee, Luc«, sagte sie und stand auf. »Du bist durcheinander. Was du jetzt brauchst, ist moralische Unterstützung und kein Sex.«
    »Nein, ich –«
    Sie war schon fast an der Tür. »Ich sag dem Koch, dass er dir was zu essen bringen soll. Und dann verpacke ich die Thermosflasche, damit der Expressbote sie nachher mitnehmen kann. Die muss morgen Nachmittag in Cambridge sein. Im Labor dort warten sie schon drauf.«
    »Schaust du nachher nochmal nach mir?« Luc hörte selbst, dass er wie ein kleines Kind klang.
    »Wenn du eingeschlafen bist«, erwiderte Sara sanft. »Mach die Augen zu und lass los. Das wird dir guttun.«
    Als sie weg war, stand Luc auf und ging schwankend zur Spüle, wo er sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte.
    Beim Blick auf Hugos leere Koje fing er vor ohnmächtiger Wut zu zittern an. Den ganzen Tag hatte er diesen Zorn unterdrückt, jetzt aber schloss er die Augen und sah rot. Er musste etwas kaputt schlagen. Etwas zerstören. Luc drosch mit der Faust so fest auf die Trennwand zwischen Sitzecke und Schlafraum ein, dass er in der Styroporisolierung tiefe Dellen hinterließ. Danach war die Wand blutig, und seine Hand tat ihm weh. Er hatte sich am Ringfinger verletzt und wickelte ihn in ein Taschentuch, bevor er sich wieder aufs Bett setzte und den Rest Bourbon trank.
    Als Sara später nach ihm schaute und die leere Flasche sah, ärgerte sie sich, dass sie sie nicht mitgenommen hatte. Das Essenstablett, das der Koch gebracht hatte, stand unberührt auf dem Tisch, und Luc lag laut schnarchend in seiner Koje. Sara bemerkte die Delle in der Wand, wickelte Lucs Hand aus dem blutigen Taschentuch und verband sie neu, ohne dass Luc aufwachte. Dann hängte sie einen Zettel an die Wohnwagentür, dass er nicht gestört werden durfte. Die Kollegen mussten eben mal einen Tag lang ohne ihren Ausgrabungsleiter zurechtkommen.
    Als es dunkel war, kam sie noch einmal zurück und sah, dass Luc sich kaum bewegt hatte. Um ihn im Auge zu behalten, beschloss sie, ihre abendliche Arbeit an seinem Tisch zu erledigen. Sie hielt Wache und tippte auf ihrem Laptop, bis es im Lager still wurde.
     
    Der Strahl einer Taschenlampe tastete sich durch den nächtlich verlassenen Bürocontainer langsam zu Lucs Schreibtisch vor, der in der hintersten Ecke des Raumes stand.
    Eine Hand versuchte die Schreibtischschubladen zu öffnen, aber sie waren abgeschlossen.
    Die Hand griff nach dem Kaffeebecher auf dem Schreibtisch, in dem sich ein Sammelsurium aus Stiften, Radiergummis und Büroklammern befand. Sie kippte den Becher um, leerte seinen Inhalt auf die Tischplatte und nahm sich den kleinen Schlüssel, der darin verborgen gewesen war.
    Er passte ins Schloss der mittleren Schreibtischschublade, die sich ohne Probleme öffnen ließ. Es war eine Hängeregistratur, in der Dutzende von Akten hingen, die alle mit der Ausgrabung zu tun hatten.
    Die Hand griff zielsicher nach der Mappe, die mit »DIVERSES« beschriftet war. Unter den Papieren befand sich auch ein nicht näher gekennzeichneter Umschlag, der nicht zugeklebt war. Darin steckte der

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