Die zehnte Kammer
standen die beiden vor dem Topf und betrachteten ihr brodelndes Gebräu.
»Wie lange sollen wir es kochen lassen?«, fragte Luc.
»Nicht zu lange, würde ich sagen«, erwiderte Sara. »Es sollte eher eine Art Tee werden. Das wäre jedenfalls die korrekte ethnobotanische Vorgehensweise.« Sie sah Luc an und fügte lachend hinzu: »Na gut, zugegeben, ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Verrückte Aktion, findest du nicht?«
»Zu verrückt, um es jemandem zu erzählen«, sagte er. »Das bleibt unter uns. Aber wie schicken wir das Gebräu nach Cambridge?«
Sara hatte in ihrem Wohnwagen eine Thermosflasche aus rostfreiem Stahl, und nachdem sie den Inhalt des Topfs noch einmal umgerührt hatte, ging sie los, um sie zu holen.
Kaum war sie fort, kam Abt Menaud ins Küchenzelt.
»Da sind Sie ja, Luc«, sagte er. »Ich habe Sie schon überall gesucht und ein paar Mal auf Ihrem Handy angerufen.«
Luc holte es aus der Tasche und sah, dass er ein paar entgangene Anrufe hatte. »Tut mir leid, ich hatte zwischendurch kein Netz. Was kann ich für Sie tun?«
Der Abt bemerkte den süßlichen Geruch im Küchenzelt und deutete auf den Herd. »Was ist das?«, fragte er.
Luc log einen Mann, der ihm so geholfen hatte, nicht gerne an und wich der Frage lieber aus. »Professor Mallory kocht gerade etwas. Ich passe nur auf, dass nichts überläuft.«
Der Abt widerstand dem Bedürfnis, neugierig in den Topf zu schauen und den Inhalt zu probieren. Stattdessen kam er nun zum Grund seines Besuchs. Lieutenant Billeter, der junge Chef des Polizeireviers der Gegend, hatte mehrmals im Kloster angerufen und Luc ganz dringend sprechen wollen.
Nachdem der Abt Luc die Nummer von Billeter gegeben hatte, ging er zum Ausgang, wo er fast mit Sara zusammengestoßen wäre. Der alte Mönch prallte zurück, als wären sie zwei unterschiedlich gepolte Magnete, und warf einen interessierten Blick auf Saras Thermosflasche. Bevor er das Zelt verließ, murmelte er noch etwas davon, dass das Zeug auf dem Herd wirklich hervorragend riechen würde und er beim nächsten Mal unbedingt etwas davon probieren wolle. Luc erwiderte nichts und zwinkerte Sara zu, damit sie ebenfalls nichts sagte.
Während Sara das noch warme Gebräu in eine saubere Schüssel abseihte, rief Luc Billeter zurück. Wahrscheinlich ging es noch einmal um Zvi Alon.
Der Gendarmerieoffizier jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein, als er stattdessen eine unerwartete Frage stellte: »Kennen Sie einen Mann namens Hugo Pineau?«
Die Straße, die von der Abtei nach Ruac hineinführte, hatte nur eine einzige scharfe Kurve und war wirklich nicht besonders gefährlich. Bei Nacht, Regen und deutlich zu hoher Geschwindigkeit konnte sie einem Fahrer dennoch zum Verhängnis werden. Insbesondere, wenn der auch noch getrunken hatte. Der Wagen war durch die Büsche am Straßenrand gerast und schließlich zehn Meter weiter im Wald gegen einen Baum gekracht. Deshalb war der Unfall erst am nächsten Tag gegen neun Uhr vormittags von einem Motorradfahrer entdeckt worden, dem ein paar abgebrochene Äste am Straßenrand aufgefallen waren.
Die Wucht des Aufpralls war so heftig gewesen, dass der Wagen sich praktisch um den Baumstamm gewickelt hatte. Der Motor hatte sich tief in den Fahrgastraum geschoben, und die Vorderräder standen in einem bizarren Winkel von den vollkommen kaputten Kotflügeln ab. Die Windschutzscheibe war zersplittert, und rings um das Wrack stank es penetrant nach Benzin. Man konnte von Glück sagen, dass der Wagen kein Feuer gefangen hatte, obwohl das für den Insassen keinen Unterschied mehr gemacht hätte.
Als Luc am Unfallort ankam, spritzte gerade ein Löschzug der freiwilligen Feuerwehr die Fahrbahn ab, um eventuelle Ölspuren zu beseitigen, während zwei Feuerwehrleute den Verkehr einspurig vorbeileiteten.
Nachdem Luc mit Lieutenant Billeter ein paar Minuten lang in dessen Streifenwagen geredet hatte, folgte er dem Polizisten in den Wald hinein. Es war wie ein Gang zum Galgen. Noch bevor er beim Wrack von Hugos Auto anlangte, hielt oben an der Straße Pierres Wagen, und Sara sprang heraus. Nach dem Anruf bei Billeter war Luc sofort losgefahren, während sie sich noch um den Trank kümmern musste. Bisher wusste sie lediglich, dass Hugo einen Unfall gehabt hatte.
Ein Blick in Lucs Augen verriet ihr jedoch sofort, was wirklich geschehen war. »Oh Luc, es tut mir so leid.«
Sie begannen beide zu weinen.
Als Archäologe hatte Luc eigentlich ständig mit den sterblichen
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