Die zehnte Kammer
gressus meos:
abscondérunt supérbi láqueum mihi.
Et funes extendérunt in láqueum;
juxta iter scándalum posuérunt mihi.
Bewahre mich, Herr, vor den Händen des Gottlosen,
vor dem Manne der Gewalttaten behüte mich,
welche darauf sinnen, meine Tritte umzustoßen!
Die Hoffärtigen haben mir heimlich eine Schlinge und Fallstricke gelegt,
ein Netz ausgespannt zur Seite des Weges, sie haben mir Fallen gestellt.
Als Bernhard böse, Gewalt und Gottlose sang, warf er Abélard, Jean und sogar seinem Bruder strenge Blicke zu. Sie saßen wie drei Verschwörer eng aneinandergedrängt in der nächsten Kirchenbank. Bernhard konnte nicht verstehen, dass sie die Sache so leichtnahmen.
Und mit der gleichen Gewissheit, die ihm sagte, dass Christus sein Retter war, wusste er, dass er das Rechte tat und sie nicht.
Er wusste auch, dass er Ruac verlassen musste, seit sie ihm ihre Absichten mitgeteilt hatten. Sie hatten allen Ernstes vor, nochmals dieses Gebräu zu trinken, das sie so lobten und das für ihn des Teufels war.
Am nächsten Morgen brach er auf. Barthomieu hatte ihn überredet, für die lange Rückreise nach Clairvaux zu seiner Sicherheit zwei jüngere Mönche als Begleiter mitzunehmen. Einer von ihnen war Michel, Jeans Gehilfe in der Krankenstube, der auf den von ihnen gebrauten Trank aufmerksam geworden war und den Infirmarius seitdem mit Fragen löcherte. Es war besser, ihn für eine Weile fortzuschicken, als ihm seine Neugier auszutreiben.
Zum Abschied umarmten sich die beiden Brüder, wobei Barthomieus Umarmung herzlicher ausfiel.
»Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?«, fragte Barthomieu.
»Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?«, entgegnete Bernhard. »Willst du nicht davon Abstand nehmen, dieses teuflische Gebräu erneut zu dir zu nehmen?«
»Nein, das werde ich nicht«, sagte Barthomieu mit fester Stimme. »Ich halte es für ein Gottesgeschenk.«
Bernhard seufzte. »Ich werde meine Argumente kein weiteres Mal wiederholen, Bruder«, sagte er. »Ich werde nun aufbrechen und kann nur hoffen, dass Gott sich eurer armen Seelen erbarmen möge.«
Er schlug seine Fersen in die Flanken der braunen Stute und ritt langsam davon.
Abélard wartete beim Tor der Abtei und rief dem Reiter zu: »Ich werde dich vermissen, Bernhard.«
Bernhard blickte hinab zu ihm. »Auch ich werde dich vermissen, das gebe ich zu«, sagte er. »Zumindest den Abélard, den ich kannte, bevor er diesem Trank verfallen war.«
»Richte nicht zu hart über mich, Bruder. Viele Wege führen zur Straße der Gerechten.«
Bernhard schüttelte traurig den Kopf und ritt davon.
An diesem Abend trafen sich drei Männer in Bernhards leerer Klause, zündeten ein paar Kerzen an und sprachen über ihren abgereisten Freund. War es möglich, fragte Barthomieu, dass Bernhard doch recht hatte und sie nicht?
Barthomieu war kein Dogmatiker, und Jean kannte sich mehr mit Heilkräutern und der Behandlung von Krankheiten aus als mit der Glaubenslehre. Deshalb fiel es Abélard zu, ihnen einen Vortrag über den Kampf des Guten gegen das Böse, Gottes gegen Satan, des Rechten gegen das Falsche zu halten. Am Ende kam er zu dem Schluss, dass es Bernhard war, der nicht den nötigen Weitblick hatte – nicht sie.
Nachdem sie sich gegenseitig der Rechtschaffenheit ihres Tuns versichert hatten, holte Jean einen Tonkrug, zog den Stöpsel heraus und goss drei Becher mit einer rötlichen Flüssigkeit voll.
Abélard saß allein in seiner Zelle. Auf dem Tisch beleuchtete eine einzelne Kerze ein Stück Pergament, das er vor sich ausgebreitet hatte. Eine Woche lang schrieb er nun schon an diesem Brief an seine geliebte Héloïse und bekam ihn nicht fertig. Er las den Anfang noch einmal:
»Meine liebste Héloïse, viele Tage und Nächte habe ich nun allein in meiner Mönchszelle verbracht, ohne ein einziges Mal meine Augen zu schließen. Das Feuer meiner Liebe lodert wilder denn je inmitten des zufriedenen Gleichmuts meiner Klosterbrüder, und mein Herz tut mir weh von deinen Sorgen wie von meinen. Oh, was für einen schrecklichen Verlust muss ich ertragen angesichts deiner Beständigkeit! Was für Freuden mit dir sind mir entgangen! Ich sollte dir diese Schwäche nicht beichten; ich bin mir bewusst, dass ich einen Fehler begangen habe. Wenn ich nur mehr Festigkeit zeigen könnte, dann würde das deine Ablehnung gegen mich schüren und das bewirken, wozu deine Tugend nicht in der Lage ist. Nachdem ich aller Welt meine
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