Die zehnte Kammer
Schwäche in Liebesliedern und Gedichten an dich offenbart habe, sollten da nicht die düsteren Mauern dieses Klosters mir helfen, diese Schwäche unter dem Anschein der Frömmigkeit zu verbergen? Aber nein! Ich bin noch immer der, der ich immer war! «
Er tauchte den Federkiel ins Tintenfass und begann einen neuen Absatz.
»Einige Tage sind vergangen, seit ich diese Worte geschrieben habe. Vieles hat sich seitdem geändert, jedoch nicht meine Liebe zu dir, die nun sogar heller brennt denn je. Gott hat mir in seiner unendlichen Güte ein Geschenk gemacht, das ich kaum zu begreifen vermag, und doch habe ich es erhalten. Meine Hand sträubt sich, diese Worte niederzuschreiben, aus Angst davor, dass sie dadurch an Kraft verlieren: Ich glaube, meine liebe Héloïse, dass ich einen Weg gefunden habe, wie wir beide wieder als Mann und Frau zusammen sein können. «
SECHZEHN
Die letzten Tage der Arbeit in der Höhle von Ruac kamen und gingen. Am letzten Abend gab es trotz der beiden tragischen Unfälle, die diesen ersten Ausgrabungsabschnitt überschattet hatten, ein feierliches Abendessen. Noch immer wurde über die Vorfälle viel geredet und spekuliert, und einige vom Team behaupteten sogar, es läge ein Fluch über der Höhle und denen, die ihr ihr Geheimnis entreißen wollten.
Nach Hugos Begräbnis in Paris war Luc wieder nach Ruac zurückgekehrt und hatte sich mit Feuereifer in seine Forschungen vertieft. Er hatte jeden Tag bis zum Umfallen gearbeitet und jede Nacht nur ein paar Stunden geschlafen, was schließlich zu einem Zustand der Erschöpfung und Gleichgültigkeit geführt hatte. Er sprach nur noch, wenn es unbedingt sein musste, und auch dann nur über Dinge, die die Ausgrabung betrafen. Hugos Tod hatte seinen früher sprichwörtlichen Charme ausgelöscht.
Lucs Gemütszustand hatte sich durch das plötzliche Erscheinen von Marc Abenheim, der wild entschlossen war, sich die Tragödie zunutze zu machen, noch weiter verschlimmert. Der schmächtige Bürokrat schickte alle aus dem Bürocontainer, um mit Luc unter vier Augen sprechen zu können, und wollte dann von ihm wissen, wie hoch denn bitte die Wahrscheinlichkeit sei, dass gleich zwei Teilnehmer an einer Ausgrabung in einer Saison eines natürlichen Todes starben.
»Worauf wollen Sie hinaus?«, hatte Luc geantwortet. Abenheims nasale Fistelstimme machte ihn aggressiv.
»Auf einen Mangel an Disziplin und gesundem Menschenverstand und auf schlechtes Management Ihrerseits. Sie hätten nie einen persönlichen Freund einladen dürfen, an einer offiziellen Grabung des Ministeriums teilzunehmen.«
Lucs Selbstbeherrschung war geradezu bewundernswert gewesen, andernfalls hätte er Abenheim für diese Unverschämtheit mitten ins Gesicht geschlagen.
Als der wieder abfuhr, schäumte Luc vor Wut. Während Abenheims Besuch hatte er sie mühsam unter Kontrolle gehalten, jetzt aber rannte er zu seinem Wohnwagen und knallte geräuschvoll die Tür zu. Sein Blick fiel auf die Delle in der Trennwand, die er in der Nacht nach Hugos Unfall dort hineingeprügelt hatte. Am liebsten hätte er noch einmal zugeschlagen, aber diesmal so fest, dass seine Faust auf der anderen Seite der Wand wieder herauskäme. Doch dann erinnerte er sich, wie lange er an dem verletzten Finger herumlaborieren musste, der sich zu allem Unglück auch noch infiziert hatte. Luc hatte starke Antibiotika gebraucht, um die beginnende Blutvergiftung zu bekämpfen.
Was Sara betraf, so hatte Luc alle Pläne aufgegeben, sie wieder für sich zu gewinnen. Manchmal hatte er sich sogar schon gefragt, ob er das überhaupt eine Weile wirklich ernsthaft gewollt hatte. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Sara selbst hatte ihm viel Freiraum gegeben, damit er die Trauer um seinen Freund verarbeiten konnte. Je mehr er sich von ihr zurückzog, desto mehr kümmerte sie sich insgeheim um sein Wohlergehen, indem sie ständig mit Jeremy und Pierre zusammensteckte und mit den beiden besprach, was sie denn für ihn tun könnten. Aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit wusste Sara, dass Luc anfällig für Depressionen war.
Die Abschlussfeier fand in einer kalten Herbstnacht statt, in der sich die Grabungsteilnehmer in einem engen Kreis um ein loderndes Feuer scharten, so, wie ihre prähistorischen Vorfahren es vermutlich auch getan hatten. Luc wusste, dass er ein paar abschließende Worte sagen musste, hatte aber nicht die geringste Lust, eine längere Rede zu halten.
Trotzdem dankte er den Anwesenden für
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